„Es geht bei den Anfragen, die wir derzeit bekommen, nicht nur um Bestandsverhältnisse, Geschäftsraummieten und Pachtverträge, sondern auch um ganz normale Verträge, bei denen die eine Vertragspartei nun darüber nachdenkt, ihre Vertragspflicht nicht mehr zu erbringen und wissen möchte, wie ihre Chancen da später vor Gericht aussehen würden“, berichtet der Grazer Rechtsanwalt Stefan Schoeller von Klienten, die die Hoffnung haben, dass die „höhere Gewalt“ etwaige Vertragsbrüche juristisch rechtfertigt. „Es reicht aber nicht bloß ein Blick in den jeweiligen Vertrag und die Betrachtung der jeweiligen schriftlichen Vertragspflicht, um beurteilen zu können, wie ein Gerichtsstreit über einen solchen Vertragsbruch wohl ausgehen würde“, erklärt der Anwalt. Die Judikatur stelle Regeln auf, die unbedingt einzuhalten sind. Als Wirtschaftsanwalt gibt Schoeller Folgendes zu bedenken:
- Der Coronavirus ist rechtlich als höhere Gewalt einzustufen, für die grundsätzlich keine Vertragspartei die Verantwortung trifft.
- Zu berücksichtigen ist, dass Verträge nicht nur die ausdrücklichen erwähnten Pflichten und Rechte der Vertragsparteien festschreiben, sondern dass es daneben sogenannte „nebenvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten“ gibt, die auch in der Kündigungsphase und nachvertraglich Geltung haben.
- Diese verpflichten den kündigenden Vertragspartner, so zu agieren, dass aus der Vertragsauflösung oder der Einstellung seiner Vertragspflichten für das gemeinsame Projekt, den gemeinsamen Vertragszweck oder den Vertragspartner möglichst wenig Nachteile entstehen und Schäden oder nachteilige Folgen durch die Handlungen beim Ausstieg möglichst vermieden werden.
- Weites gibt es für jeden Konflikt zwischen Vertragsparteien eine ausdrücklich vom Obersten Gerichtshof immer wieder herangezogene sogenannte „Schadensminderungspflicht“. Der aussteigende Vertragspartner muss daher alles Zumutbare und ihm Mögliche tun, um für seinen Vertragspartner den aus dem Ausstieg entstehenden potenziellen Schaden möglichst gering und in Grenzen zu halten und allfällige drohende Schäden zu minimieren bzw. zu mindern. Wenn ein ausstiegswilliger Vertragspartner daher mehrere Varianten hat, um das Vertragsverhältnis zu beenden, wird er die am wenigsten schadensgeneigte Variante wählen müssen, um nicht aus diesem Thema bei einem späteren Prozess schadenersatzpflichtig zu werden.
- Sowohl im Vertragsrecht als auch im Gesellschaftsrecht gilt der Grundsatz der Treuepflicht: So hat etwa der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer, der wiederum zur Treue gegenüber seinem Dienstgeber verpflichtet ist. Auch Gesellschafter einer GmbH unterliegen der Treuepflicht und müssen bei ihren Handlungen die Nachteile der Coronakrise für die GmbH (z.B. bei Gewinnzuweisungen oder kritischen Ausschüttungen in dieser schwierigen Zeit) berücksichtigen, jedes schädigende Verhalten vermeiden und tendenziell positive Verhaltenspflichten fördern. Auch Vertragspartner, in welcher Konstellation immer, sind bei der Auslegung z. B. von Kündigungsmöglichkeiten oder der Frage, welche Nachteile durch die Kündigung ausgelöst werden, aufgrund dieser Treuepflicht verpflichtet, den gegnerischen Vertragspartner und möglichen späteren Prozessgegner möglichst zu schützen und schonend zu behandeln.
- Diese Grundsätze werden in der Zukunft bei Streitigkeiten nach der Coronakrise vom OGH mit Sicherheit angewendet werden, ihre Einhaltung wird zeigen, ob man bei der Vertragsauflösung und Leistungsbeendigung sozial verträglich, mit einem gemeinsamen Willen zur Krisenbewältigung oder rücksichtslos und auf den eige-nen Vorteil bedacht agiert hat.