Ein paar Tage noch. Dann wird Keywan Riahi seine neuesten Zahlen präsentieren. In Südkorea, beim Treffen von UNO- und Regierungsvertretern aus aller Welt. Riahi gehört zu den bekanntesten Klimaforschern, er leitet internationale Forschungsgruppen, seine Erkenntnisse zu Themen wie „Die Welt im Jahr 2050“ sorgen für Aufsehen. Er gehört in der Branche zu den meistzitierten Forschern, weltweit.

Hier, in Laxenburg, in einem alten Schloss in Niederösterreich, liegt Riahis Homebase. Dort wird geforscht, gerechnet und modelliert, tage- und nächtelang. Es geht um nachhaltige Strategien, um Ernährungsprobleme, Wasserprobleme, Energieprobleme und vor allem ­darum, den Klimawandel nachhaltig in den Griff zu bekommen und dabei Zielkonflikte und Risiken zu vermeiden, um die Ärmsten vor möglichen negativen sozialen und ökonomischen Auswirkungen zu schützen. Dafür werden aus vielen Lebensbereichen Daten gesammelt, das Leben mathematisch erfasst, um das technische und ökonomische Wirken des Klimawandels in Zahlen zu gießen. Die daraus resultierenden Hochrechnungen modellieren Szenarien unserer Klima-Zukunft. Und diese schaut nicht gut aus. Seit der industriellen Revolution hat der Mensch eine Unmenge an Treibhausgasen in die Atmosphäre gepumpt. Mittlerweile gilt es wissenschaftlich als erwiesen, dass unsere Lebensweise der Haupttreiber des Klimawandels und der Erd­erwärmung ist.

"Selbst wenn wir die Klimaerwärmung begrenzen, wird es negative Auswirkungen auf Milliarden Menschen geben."
"Selbst wenn wir die Klimaerwärmung begrenzen, wird es negative Auswirkungen auf Milliarden Menschen geben." © (c) oliver wolf foto gmbh

„Selbst, wenn wir erfolgreich sind und das langfristige Ziel, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, doch noch erreichen, wird es negative Auswirkungen durch extreme Klimaereignisse für durchschnittlich zweieinhalb Milliarden Menschen geben. In mehreren Lebensbereichen. Selbst dann müssen wir uns auf gravierende Auswirkungen vorbereiten“, so Riahi. Politisch geht es aufgrund dieser Erkenntnisse vor allem darum, welche zusätzlichen Maßnahmen gesetzt werden müssen. Denn wenn wir so weitermachen und die Erderwärmung nicht auf zwei Grad begrenzen, werden durchschnittlich 4,5 Milliarden Menschen den Folgen dieses Scheiterns ausgesetzt sein. Davon werden eine Milliarde Menschen in Armut „Extrem­ereignisse“ wie lang anhaltende Dürren, extremen Wassermangel oder heftige Unwetter erleben. „Das wird die Ärmsten treffen, die sich nicht anpassen können. Und wenn man unter dieser Armut leidet, dann ist die Katastrophe vorprogrammiert.“

Dieses Video könnte Sie auch interessieren

Riahi spricht ruhig, nüchtern. Seine Argumente sind klar, er weiß, wie viele Emotionen das Thema erzeugt. Es geht um das große Ganze, die Welt ist wie ein Billardspiel. Jede Bewegung einer Kugel beeinflusst die andere. Es gibt keinen Lebensbereich, der nicht einen anderen beeinflussen würde.
Der Klimawandel kann auch groß angelegte Migrationsbewegungen verursachen. Infolge schlechter Ernten aufgrund des Klimawandels und Preissteigerungen bei den Grundnahrungsmitteln zum Beispiel. Ein Ausweg: drastische Emissions-Reduktionsmaßnahmen, um Verluste in der Landwirtschaft zu begrenzen.
Deshalb seien die UNO-Nachhaltigkeitsziele so wichtig. „Das Einbremsen des Klimawandels ist nur eines der Ziele.

Die Nachhaltigkeit ist deshalb systematisch zu betrachten, und wir geben den Politikern mit unseren Ergebnissen in der Forschung die Instrumente in die Hand, damit sie das umsetzen können.“
Riahis Denkanstoß: „Wir haben zwar eine Umweltverträglichkeitsprüfung für alle möglichen Projekte. Was wir brauchen, ist aber eine Nachhaltigkeitsverträglichkeitsprüfung, mit der wir soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte jeder Entscheidung gemeinsam erfassen können“, erklärt er.

Dass viele den Klimawandel als nicht vom Menschen verursachtes Phänomen betrachten, weiß Riahi. Er hält mit wissenschaftlichen Argumenten dagegen. „Im Prinzip hat es immer Zyklen und Schwankungen gegeben. Aber wenn wir uns die letzten 400.000 Jahre anschauen, dann hatten wir noch nie so eine Atmosphäre wie heute. Die Menschheitsentwicklung der letzten 10.000 Jahre fällt in einen Zeitraum mit extrem stabilem Klima. In den letzten 200 Jahren jedoch wurden durch den Menschen immer mehr Treibhausgasse emittiert. Die CO2-Konzentration ist dabei massiv angestiegen, und dadurch haben wir bereits einen Temperaturanstieg von einem Grad Celsius in kürzester Zeit verursacht.“

Als Wissenschaftler könne man nur versuchen, so transparent wie möglich mit den Daten umzugehen, so klar wie möglich zu beschreiben und zu erklären, dass man diese negative Klima-Entwicklung in der Natur, von Bäumen, Korallen, Eisproben etc., ablesen könne. Natürlich gebe es dabei Unschärfen und Unsicherheiten, viele Skeptiker würden sich dann solche Details herausnehmen und als Fakt wiedergeben.

"Die Klimadiskussion wird religiös gefhrt. Aber der vom Menschen verursachte Klimawandel ist keine Glaubensfrage."
"Die Klimadiskussion wird religiös gefhrt. Aber der vom Menschen verursachte Klimawandel ist keine Glaubensfrage." © (c) oliver wolf foto gmbh

„Ich sehe oft, dass die Klimadiskussion religiös geführt wird. So ähnlich, als ob ich sagen würde: Ich glaube nicht an die Schwerkraft. Da kann man nur Vertrauen über Wissen schaffen. Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist keine Glaubensfrage.“ Denn die Folgen – wenn wir uns nicht zum nachhaltigen Umgang mit dem Planeten Erde entschließen – sind nicht nur bekannt, sondern wissenschaftlich gut abgesichert.

Für Europa würde das laut Riahi zum Beispiel bedeuten: Wasserknappheit, Dürren vor allem in südeuropäischen Ländern. Tierarten würden aussterben. Die Vegetation werde sich weiter verändern. Im Alpenbereich sei das Energiesystem, das sich auf Wasserkraft stützt, äußerst vulnerabel. Dann müssten wir wieder fossile Energieträger einsetzen – aber dafür bräuchten wir Wasser zur Kühlung, das sich verknappen würde. Permafrostböden wie in Russland würden aufweichen, somit zu hohen Infrastrukturschäden führen.

Der Meeresspiegel werde ansteigen, Küstengebiete seien davon stark betroffen. Intensive Wetterphänomene, auch Hurrikans, würden häufiger und stärker auftreten. Wie auch extreme Hitzeereignisse. Was wiederum die immer stärker besiedelten Städte betreffen werde. Diese würden sich stärker erhitzen, was die Gesundheit der Menschen beeinflusst.

Aber noch hat es der Mensch in der Hand, wenn er die richtigen Maßnahmen setzt. Vom Verkehr bis zu den kleinen Entscheidungen des Alltags. Etwa, wie man mit Wasser, Plastik und Energie umgeht. Riahi weiß, dass wir in Österreich die Zwei-Grad-Erwärmung schon überschritten haben. In der Schweiz, wo er zuletzt auch unterrichtete, war er auf einem Gletscher unterwegs. Es sei „spannend und deprimierend zugleich“ gewesen – zu sehen, wie stark sich unsere Umwelt verändert hat. „Plötzlich gab es einen Knall, und ein weiteres Stück vom Gletscher brach ab“, erzählt er.

Dass die alpinen Gletscher langfristig verschwinden, sei ja nur ein Teil der ganzen Geschichte. In der Folge werde es weniger Frühjahrsschmelze geben. „Und selbst dort, wo man heute keine Wasserknappheit kennt, wird man mit Problemen rechnen müssen. Aber noch“, sagt er, „muss es nicht so weit kommen, wenn die Politik entschieden handelt.“