Aschenputtel hat unter ihr gelitten, Schneewittchen wurde von ihr geplagt, Hänsel und Gretel hat die Frau gar im Wald ausgesetzt: Die Rede ist von der Stiefmutter, die sich in unseren Köpfen über Generationen als eine ganz Böse festgesetzt hat. Alles nur ein Märchen?
„Stiefmütter haben, um es neumodisch zu formulieren, ein echtes Imageproblem“, sagt die Historikerin, Buchautorin und Journalistin Barbara Tóth, die sich in ihrem neuen Buch genau dieses Themas annimmt. Aus Eigeninteresse, könnte man sagen. Sie hat selbst zwei Söhne im Volksschulalter und dank ihres neuen Partners zwei „Beutekinder“, wie sie es formuliert. Während sich unter der Ratgeberliteratur zu modernen Patchworksystemen insgesamt schon die Regalböden biegen, sei speziell zur Stiefmutterrolle so gut wie nichts zu finden.

Als Stiefmutter weiß Barbara Tóth, welche Probleme die Familienform „für Fortgeschrittene“ mit sich bring
Als Stiefmutter weiß Barbara Tóth, welche Probleme die Familienform „für Fortgeschrittene“ mit sich bring © (c) Heribert CORN, corn@corn.at (Heribert CORN)

„Die Wertschätzung fehlt“, konstatiert Tóth. Dabei werde von Frauen in dieser Situation ähnlich viel verlangt wie von „Bauchmüttern“ – zusätzlich immer kombiniert mit dem leisen Vorwurf: „Du hättest ja deine eigene Familie gründen oder bei deinem alten Mann und der Familie bleiben können. Du wolltest es ja nicht anders.“ - „Man muss zurückstecken – vor allem in den Anfangsjahren. Wenn ein Mann ein ordentlicher Papa ist, kommen bei ihm emotional die Kinder schließlich immer zuerst“, formuliert es Eva M., Stiefmama mit 22-jähriger Erfahrung. Auf diese Situation müsse man sich sehr bewusst einlassen. „Einfach“ ist das nicht, wie Eva M. sagt, „aber mit Geduld und Liebe sehr gut möglich“.
Die Herausforderung bewältigen nicht alle: Etwa die Hälfte aller Patchworkbeziehungen, etwas mehr als bei klassischen Familien, fällt laut Tóths Recherche wieder auseinander. Stiefmütter haben viel Druck auszuhalten: neue Liebe, neue Familie, Expartner, Stiefgeschwister, neue Omas und Opas – alles auf einmal.

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Die auf Patchworkfamilien spezialisierte Psychologin Katharina Grünewald schreibt in ihrem Buch „Glückliche Stiefmutter“ von vier Etappen, die Frauen in der Stiefmutterrolle zwangsläufig durchlaufen: Liebestaumel, Landung in der Realität, Machtkämpfe, Etablierung und letztlich hoffentlich Akzeptanz. Im besten Fall kann Frau am Ende wie Eva M. über ihre Stiefkinder sagen: „Sie sind immer mit allem zu ihrem Vater und mir gekommen. ,Wenn das auch in der Pubertät so bleibt, haben wir gewonnen‘, haben wir uns gesagt.“ Heute weiß sie, dass es gelungen ist, ihr Patchworkprojekt.

Das Problem ist nur: Patentrezepte fehlen. Gleichzeitig wird nichts von alleine gut. „Ich machte am Anfang den Kardinalfehler aller werdenden Stiefmütter: Ich glaubte, alles würde sich quasi von Natur aus fügen, wenn die Liebe zwischen mir und meinem Partner nur groß genug sei“, berichtet Tóth von ihren Erfahrungen und meint damit die vielfältigen Beziehungen in dieser Familiensituation.

Aus heutiger Sicht stellt sie fest: „Vermutlich wäre es hilfreich gewesen, sich von einer Familientherapeutin begleiten zu lassen oder Rat von anderen Stiefmüttern einzuholen – oder einfach kluge Ratgeberbücher zu lesen.“ So übernahm sie in ihrer neuen Familie die „Regie ohne Skript“ und tappte dabei in einige der vielen Fallen, die sich Stiefmüttern stellen. Fast wäre auch die Mutterfalle darunter gewesen, wie sie erzählt.
Der Begriff stammt von der Psychologin Grünewald, die damit den Versuch meint, dem Kind eine „echte“ Mutter zu sein. „Tritt nie in Konkurrenz mit der leiblichen Mutter“, lautet der gute Rat aller Patchworkspezialisten. Die dreifache Stiefmama Maria Schatz sagt an dieser Stelle: „Wenn das Kind irgendwann einmal sagt: ,Du bist nicht meine Mama‘, darf man das nicht persönlich nehmen. Es ist ja schlichtweg ein Fakt, egal wie viel man für das Kind schon getan hat.“

Ein Hürdenlauf

Die sogenannte „Prinzessinnenfalle“ wartet auf die Stiefmütter freilich immer gleich ums Eck: Während es einem kleinen Mädchen noch leichtfallen mag, die Nummer eins in der Familie zu spielen, muss sich die Stiefmutter damit abfinden, nie die Erste in der Familie zu sein, als Prinzessin hat sie ausgespielt. Das muss Frau aushalten. Aber wie legt man diese Rolle nun am Erfolg versprechendsten an? Als Freundin? Als ältere Schwester?

Tóth plädiert am ehesten für die Figur der (oft kinderlosen) Tante, wie wir sie aus den Entwicklungs- und Familienromanen der vorletzten Jahrhundertwende kennen: eine emanzipierte Frau, mit der das Kind Dinge besprechen kann, die es mit seinen Eltern nie bereden würde. „Die Tante ist allerdings selten eine, die erzieht. Stiefmütter hingegen kommen auf Dauer nicht umhin, mitzuerziehen“, fügt Tóth hinzu.

Es braucht Zeit

Bei diesen Herausforderungen ist es kein Wunder, dass es bis zu fünf Jahre dauert, bis eine neue Familie ihre Rituale und Wege gefunden hat und sich als neue Sippe etabliert und schließlich auch akzeptiert. „Diesen Zeitrahmen geben alle an, die mit Patchworkbeziehungen zu tun haben“, meint Tóth und ergänzt: „Die neuen Stiefmütterskripts für unsere Generation werden gerade erst geschrieben.“ Auf dem Weg dorthin helfe vor allem, sich ständig klarzumachen, an welchen Mutterrollen man sich selbst unbewusst orientiert und weshalb man in der Dauerschleife festhängt.