Wie kam es dazu, dass Sie sich wissenschaftlich mit dem Dark Net beschäftigen?
MEROPI TZANETAKIS: Ich war auf einer internationalen Drogenkonferenz, wo eine Kollegin aus Australien vom Drogenverkauf im Internet berichtet hat. Das war damals, vor dem Jahr 2013, ein neues Phänomen, es gab kaum Forschung zu dem Thema. Bis heute weiß die breite Bevölkerung wahrscheinlich gar nicht, dass so etwas wie das Dark Net und der Handel dort existieren.

Sie haben vor allem den digitalen Drogenmarkt untersucht. Wie geht man da als Wissenschaftlerin heran?
MEROPI TZANETAKIS: Viele denken: Da muss man selbst bestellen, um das untersuchen zu können. Nein, das muss man nicht, das ist verboten und auch für Forschungszwecke nicht möglich. Die digitalen Marktplätze im Dark Net sind, nachdem man sich mit der entsprechenden Software eingeloggt hat, relativ leicht zugänglich. Sie sind so ähnlich aufgebaut, wie wir es von anderen Shops im Internet kennen. Was ich dort mache: Ich beobachte, was Leute in den Foren schreiben, wie die Interaktion zwischen Händler und Kunden ist, wie die Händler sich präsentieren.

Das Dark Net ist in der breiten Wahrnehmung ein mystischer Ort, wo sich Kriminelle tummeln. Wie gerechtfertigt ist dieses Bild?
MEROPI TZANETAKIS: Das Wort Dark Net suggeriert etwas Bedrohliches. Tatsächlich sagt der Begriff aber nichts über den rechtlichen Status der Inhalte aus, sondern lediglich darüber, wie gewisse versteckte Dienste im Internet aufgerufen werden können. Sie sind erst mit einer speziellen Software zugänglich. Dadurch kann man anonym kommunizieren – im normalen Internet hinterlässt man beim Browsen und Surfen Spuren, mit deren Hilfe die Polizei die Identität ausforschen kann. Genau das wird im Dark Net erschwert.

Das klingt wie gemacht für kriminelle Machenschaften.
MEROPI TZANETAKIS: Man kann das Dark Net für kriminelle Aktivitäten nutzen, aber gleichzeitig auch für freie Meinungsäußerung, besonders dort, wo durch staatliche, nichtdemokratische Regime die Meinungsäußerung unerwünscht ist. Während des Arabischen Frühlings wurde das Dark Net genützt, um Proteste zu organisieren. Mehrere Studien haben die Inhalte im Dark Net untersucht: 50 Prozent sind legaler Inhalt, die anderen 50 Prozent teilen sich auf illegale Bereiche auf. An erster Stelle der ausgewerteten Seiten stehen Filesharing-Dienste, es folgen geleakte Daten und Finanzbetrug. Drogenhandel, Pornografie oder Waffenhandel machen nur einen sehr kleinen Teil aus.

Trotzdem wird das Dark Net zu einem „Amazon für Terroristen“ stilisiert. Was ist da dran?
MEROPI TZANETAKIS: In Deutschland läuft gerade die Diskussion, ob man das Dark Net verbieten soll. Ich sage, man muss beide Nutzungsweisen im Kopf haben. Das Dark Net ist nicht ausschließlich ein Feld für Kriminelle. Außerdem ist das Dark Net für die Rekrutierung von Terroristen wenig geeignet, soziale Medien wie Twitter, Youtube oder Facebook eignen sich viel besser, da Extremisten ihre Botschaften in den Communitys streuen können. Genau das ist im Dark Net nicht der Fall, der Zugang ist schwieriger, die große Bühne für extremistische Ideologie fehlt. Aber natürlich kann das Dark Net als anonymes Kommunikationsmittel genutzt werden – die Technologie unterscheidet nicht, ob es sich um extremistische Inhalte, Drogenvertrieb oder freie Meinungsäußerung von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Dissidenten handelt. Es braucht eine sachliche Diskussion über das Dark Net und ein kluges Abwägen.

Sie untersuchen ja vor allem, wie die Digitalisierung den Drogenhandel verändert. Was beobachten Sie dabei?
MEROPI TZANETAKIS: Die Klientel ist eine andere: Die Hauptzielgruppe sind junge Männer, 85 Prozent von ihnen haben einen Gymnasialabschluss oder sind in einer Hochschulausbildung. Ein hoher Anteil sind Gelegenheitskonsumenten, Partygeher, Clubber. Die häufigsten Drogen, die etwa 70 Prozent aller Umsätze im Dark Net ausmachen, sind Cannabis, Ecstasy und Kokain.

Was sind die Konsequenzen des digitalisierten Drogenhandels?
MEROPI TZANETAKIS: Es kommt zu einer ständigen und grenzenlosen Verfügbarkeit von Drogen. Dieser Markt ist relativ leicht zugänglich, vor allem für die Hauptzielgruppe junger, technikaffiner Menschen. Aber es gibt auch positive Veränderungen, wenn man so will: Die Transparenz, was die Qualität der Drogen betrifft, ist wesentlich höher, Händler und Waren werden von den Kunden bewertet, drogenbezogene Gewalt spielt im Netz eine weit geringere Rolle. Was jedoch unverändert bleibt, ist das ewige Katz-und-Maus-Spiel: Immer wenn Plattformen abgestellt, Händler verhaftet werden, öffnen sich andere Plattformen, kommen andere Händler und bieten ihre Ware an.

 „Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität“
„Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität“ © Nomos Verlag