Weder die totale Unterwerfung unter jene Logik, die am meisten "Likes" verspricht, noch der "digitale Selbstmord" - im Sinne eines Rückzugs von der Social Media- und Selfie-Bühne - werden künftig das Online-Handeln bestimmen. Bei einer Diskussion am Montagabend in Wien lautete der Tenor vielmehr, dass der sinnvolle Umgang mit neuen Medien gerade erst gesellschaftlich ausverhandelt werde.
"Social Media-Wahn"
Glaubt man manchen Meinungsmachern, steht ein Abdriften großer Bevölkerungsschichten in eine "Selfie-Sucht" oder eine Art "Social Media-Wahn" unmittelbar bevor und vor allem die Jugend wäre den Verlockungen des Mitmach-Internets quasi willenlos ausgeliefert. Aus historischer Sicht sei erstaunlich, wie ähnlich die Aufgeregtheit beim Aufkommen neuer Medien über die Epochen hinweg ist, erklärte die Medienkulturforscherin Petra Missomelius von der Universität Innsbruck bei einem vom Wissenschaftsministerium veranstalteten "Science Talk" zum Thema "Generation Selfie".
Schon als Film und Fernsehen im Mainstream ankamen, habe es Stimmen gegeben, die den unmittelbaren gesellschaftlichen Untergang prophezeiten. Angesichts der Tatsache, dass der Umgang damit erlernt wurde, plädierte Missomelius auch jetzt für "mehr Gelassenheit".
Wie nie zuvor bieten die "geselligen Medien" allerdings völlig neue Möglichkeiten, Informationen über sich und andere einem potenziell großen Publikum zugänglich zu machen - mit allen Vor- und Nachteilen. Nicht zuletzt gibt man auf Instagram, Facebook oder Snapchat auch immer Daten an dahinterstehende Unternehmen weiter, die damit wiederum ökonomische Interessen verfolgen, so die Wissenschafterin, die sich auch deshalb für ein "Schulfach Medienkunde" aussprach.
Selbstinszenierung
Selbstinszenierung an sich sei natürlich nichts Neues, konstatierte auch die wissenschaftliche Leiterin des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung, Beate Großegger. Allerdings habe diese mit den vielen Spielarten des Web 2.0 "neue Dimensionen" erreicht. Erlebe man heute etwas, geht es auch darum, "etwas zu erleben, das man auch herzeigen kann". Oft zähle nur noch "was online ist", so Großegger, die einen enormen Trend zum Selbstmarketing und viel Konformitätsdruck in den sogenannten Sozialen Medien ortet.
Die einzelnen Plattformen und das Verhalten der Nutzer dürfe man jedoch nicht über einen Kamm scheren: Während etwa auf Instagram die Inszenierung des "optimalen Bildes" dominiere, zeige man seiner engeren "Community" über Snapchat viel eher auch Unzulänglichkeiten. Von Facebook wiederum hätten sich viele Junge in den vergangenen Jahren bereits angewandt, so die Jugendforscherin.
Wichtige soziale Währung
Es zeige sich aber auch, dass vor allem für Jugendliche aus "benachteiligteren Milieus" die Anzahl der Facebook-Freunde immer noch eine wichtige soziale Währung darstelle. Hier gehe es sehr stark darum, zu zeigen: "Ich bin nachgefragt." Unter "bildungsprivilegierteren" Jugendlichen gebe es mittlerweile aber auch eine kleine "digitale Avantgarde", die sehr bewusst auswählt, wo sie sich wem wie präsentiert - viel stärker übrigens, als das die meisten Erwachsenen täten, so Großegger, die hier Vorboten einer möglichen Wende hin zu einem bewussteren Umgang sieht.
Egal ob viele Facebook-Freunde oder wenige - problematisch werde es vor allem, wenn das Persönlichkeitsbild, das man auf den Plattformen von sich kultiviert, zu stark von der Realität abweiche, sagte Nestor Kapusta von der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Werde die Suche nach "Likes" zum einzigen Zweck, verschwinden auch die vielen positiven Effekte dieses "modernen Zugangs zur Kommunikation". Vor allem, wenn die "oft verlockende" virtuelle Realität Überhand gewinnt, drohe ein Abgleiten in Richtung einer psychischen Erkrankung. Auch deshalb dürfe man "Kinder nicht alleine dem Internet überlassen", sagte der Wissenschafter.