Wie kann man das Phänomen Anonymous kurz beschreiben? JANA HERWIG: Es ist ein offenes Kollektiv, bei dem jeder mitmachen kann. Es ist deshalb so schwer greifbar, weil es sich immer neu konkretisiert, wenn es wieder auftritt. Auch die Wirkung ist immer ganz unterschiedlich, was man in Österreich gerade ganz gut sehen kann. Nach den Angriffen auf Parteiwebsites oder dem GIS-Hack sind ihnen viele Sympathien entgegen gekommen. Ihre Mitglieder werden oft als Aktivisten-Desperados ansehen, die etwas Richtiges tun. Dieses Image hat man aber durch den Polizei-Hack und die Veröffentlichung persönlicher Daten wieder verspielt. Daher hat man auch die Daten der Tiroler GKK nicht online gestellt.

Wer steckt hinter Anonymous und AnonAustria? HERWIG: Das lässt sich nicht definitiv beantworten, weil es eben ein offenes Kollektiv ist. Es sind immer wieder andere Leute dabei. Jeder kann Anonymous sein und das sieht man auch an den Protestbewegungen in Tunesien oder Iran, wo ganz andere Leute dabei sind als in Österreich. Für viele ist Anonymous eine Art Protestlabel. Ihre Macht geht von der Infrastruktur aus. In Österreich fokussiert sich alles um jene Leute, die zum Twitter-Account @AnonAustria Zugang haben. Den kann nicht jeder nutzen, weshalb es auch Konflikte gibt. Mit dem Hack der Grünen Website machte eine Splittergruppe von Anonymous Österreich (Twitter @ _die_anderen_) auf sich aufmerksam und kritisierte die Kontrolle einzelner über AnonAustria.

Kann also jeder Anonymous sein? HERWIG: Ja. Eigentlich kann jeder Anonymous sein, der die Fähigkeit zur Anonymisierung, also etwa der Verschleierung der IP-Adresse, mitbringt. Es gibt auch Mitglieder, die nach diversen Aktionen verhaftet wurden. Die beherrschten die Anonymisierung eben nicht.

AnonAustria meinte, dass selbst Staatsdiener bei ihnen dabei sind. Ist das glaubwürdig oder rekrutiert sich Anonymous lediglich aus einem Haufen "Script Kiddies"? HERWIG: Ja, das ist in der Tat vorstellbar, da die Gruppe extrem heterogen zu sein scheint. Der Script Kiddies-Vorwurf kommt vor allem von jenen, die Anonymous Verantwortungslosigkeit vorwerfen und meinen, dass es keine Ethik gibt. Bei Anonymous gibt es immer wieder ein Gerangel und Flügelkämpfe. Die einen definieren das über Spaß. Sie wollen zeigen, was sie können, ihr Wissen anwenden und genießen es, wenn sie erfolgreich sind. Dann gibt es noch eine andere Motivation: Einige wollen aktivistisch tätig werden und auf Missstände hinweisen. Beide Elemente sind in den letzten Aktionen in Österreich zu sehen. Verantwortungslos war die Veröffentlichung der Daten von Polizisten, Die TGKK-Daten stießen tatsächlich eine Datenschutzdebatte an. Das kippt bei Anonymous immer in verschiedene Richtungen um.

Welche Ziele verfolgt das ganze Phänomen? Gibt es überhaupt ein Ziel? HERWIG: Eine ausformulierte Ethik gibt es nicht. Zu verschiedenen Zeiten werden unterschiedliche Ziele artikuliert. Mit den Protesten gegen Scientology hat alles begonnen, mittlerweile hat sich der Kampf für Informationsfreiheit und gegen Korruption als übergeordnetes Ziel herauskristallisiert. Hin und wieder wird auch für Konsumentenrechte wie im Fall gegen Sony gekämpft. Dabei zeigte sich aber auch das große Konfliktpotenzial. Weil Teile von Anonymous das nicht gut geheißen haben, torpedierten sie sich gegenseitig und Splittergruppen griffen die eigene Infrastruktur an.

Gibt es auch ein Macht-Motiv für Mitglieder? HERWIG: Das spielt sicher mit. Der Slogan "we are anonymous. we are legion. we do not forgive. we do not forget. expect us" ist eine ausgesprochene Drohung. Und das Versprechen an dieser Macht teilzuhaben, hat für einige einen großen Reiz.