Am Anfang stand die Wahl. Als Facebook das mittlerweile umstrittene Timeline-Feature präsentierte (zu Deutsch: Chronik), stellte es die 800 Millionen User vor die Frage: Wollt ihr euer Leben in einer chronologischen Auflistung präsentieren - oder wollt ihr, dass alles so bleibt, wie es ist? Am Ende, der Gegenwart, steht die Pflicht: Ihr werdet es wollen müssen. Ab Freitag stellt Facebook alle Seiten um, die privaten Nutzer haben eine "Schonfrist" von sieben Tagen, ist das neue Profil einmal aktiviert. Ein Datum für die "Zwangsumstellung" fehlt noch, soll aber binnen der nächsten Wochen folgen.
So groß Facebook das Feature als progressive Alternative ankündigte, so klein war der Blog-Eintrag, in dem bekannt gegeben wurde, dass die Chronik zur Pflicht wird. Auf den ersten Blick ändert sich nicht viel: Alles sieht ein bisschen hübscher aus, am oberen Rand der Profilseite prangt ein großes Foto, eine Grafik, oder gar das Lieblingsfoto der Jugendband – es bleibt optisch dem User überlassen. Dahinter steht jedoch das Ansinnen des Konzerns um Mark Zuckerberg, künftig jedes Ereignis, jede Nachricht und jedes Foto eines Menschen in einer Chronologie ablegen zu können.
Die Nutzergemeinde soll ihr Leben speichern. Wo war er noch einmal im Herbst 2007? Wann hat sie maturiert? Der User wird transparenter denn je, statt chaotischen Foto-Alben mit Schnappschüssen will Facebook ein digitales Abbild der Realität schaffen. Mit wenigen Mausklicks können sogar die Jahre vor dem Einzug auf Facebook hinzugefügt werden. Von der Geburt bis zur Hochzeit - ein privater Lebenslauf, der vor allem bei Datenschützern für Unverständnis sorgt.
Transparent - für Werbung und Programme
Die Chronik klingt ebenso praktisch wie beängstigend. Sieben Tage sollen die Nutzer ab dem Starttermin in den kommenden Wochen Zeit haben, die eigene Timeline überprüfen zu können – dann wird sie unweigerlich frei geschaltet. Ab dann navigiert man sich per Mausklick in der rechten Bildschirmhälfte durch das Leben der Anderen. Anzuzweifeln bleibt, ob die User sich damit anfreunden können, dass viele alte Fotos, Kommentare und Nachrichten nun wieder an die digitale Oberfläche gespült werden.
Vor allem Werbekunden reiben sich in Sachen Timeline die Hände: Die ohnehin bereits auf den jeweiligen Menschen hinter dem Profil zugeschnittene Werbung dürfte nun noch leichter zu platzieren sein. Je nach Alter, Beruf und Lebensabschnitt kann leichter ein Produkt zugewiesen werden. Und falls man etwa sein Handy einmal verloren hat, können Facebook-Werber eines empfehlen, mit dem in der Vergangenheit bereits zufrieden war.
Auch die "Open-Graph"-Schnittstelle wird weiter ausgebaut. Entwickler können damit ihre Programme mit Facebook verknüpfen. So fügen etwa der Musikdienst Spotify und der Film-Streaming-Service Netflix automatisch abgespielte Titel in die Chronik ein. Auch im Nachrichtenbereich soll sich das Feature durchsetzen – der "Social Reader" des Wall Street Journal fügt automatisch gelesen Artikel ins Facebook-Profil ein. Die Funktionen lassen sich zwar abschalten, die Optionen sind oftmals besonders schwierig zu finden. Der "Like-Button" könnte so auf lange Sicht überflüssig werden.