Wer in der Steiermark zu Hause ist, muss wirklich nicht nach Wien. Schon gar nicht, wenn es ums Essen geht. Als kulinarischstes aller Bundesländer – keine Widerrede, bitte schön! – haben wir schließlich unzählige Hauben quasi vor der Haustür. Also: Man muss nicht nach Wien – aber man kann.
Und im Falle von Fabian Günzels Restaurant Aend im 6. Bezirk gehe ich so weit und sage: Man sollte. Sofern man sich für die zeitgemäße Kunst des Kochens interessiert und für Lebensmittel, die in ihrer Qualität (weltweit) unübertroffen sind. Wie kann, wie soll eine wirklich gute, saisonale Jakobsmuschel aus der Bretagne schmecken? Wie eine Langouste, wie eine der berüchtigten Gillardeau-Austern, wie Rohmilchbutter, wie weißer Trüffel? Im Aend erfährt man es – und entdeckt auf vielen Tellern durchaus neue, präzise Geschmackskombinationen. Von den österreichischen und französischen Raritäten auf der beeindruckenden Weinkarte ganz zu schweigen.
Das momentane Herbst-Menü beginnt mit Gillardeau-Auster mit Gruyère-Käse – und das gleich zu Beginn des 13-gängigen Geschmacksreigens (240 Euro, das kleine Menü zu Mittag kostet 110 Euro). Das ist schon eine Ansage: An Austernliebhaber einerseits, die sich vom Schlürfen der kühlen Jodigkeit verabschieden müssen. Und an alle Austernangsthasen andererseits, die mit diesem Happen nicht anders können, als das sanft gegarte Austernfleisch unter der herzhaften Käsedecke in all seiner salzigen Nussigkeit zu entdecken.
Genauso geradlinig zeigt sich Günzels Handwerk in Gerichten wie dem Salatherz mit – geriebener! – Gänseleber, dem Tartelett mit kroatischem Thunfisch und eingelegtem Kürbis oder dem knackig-bitteren Radicchio mit dem irgendwie vollmundigen, dabei aber erstaunlich milden Radlberger Lax, einer geschmacklich hochinteressanten Kreuzung zwischen Bach- und Seeforelle. Das ist aber auch schon der einzige Süßwasserfisch, der hier aufgetischt wird.
Günzels Handwerk blüht im Garen von Meeresgetier so richtig auf: Die Langouste vom Kohlegrill trieft vor süßer Saftigkeit nur so, die Jakobsmuscheln sind in ihrer Bissfestigkeit geradezu faszinierend zart. Und der Loup de Mer aus dem kroatischen Küstenort Šibenik ist, im Kohlblatt gegart, ein einziges Wunderding an milden Meeresaromen, die durch ordentlich Kaviar nochmals aufgewertet werden. Ja, ohne Zweifel: Dafür lohnt es sich, nach Wien zu fahren. Sogar aus der Steiermark.
Lucas Palm