Über altes Rindfleisch macht man sich in der Regel erst Gedanken, wenn es ebenso riecht. Nicht so Michael Wilhelm. Der Fleischidealist aus Sölden widmet sich im hinteren Ötztal der Zucht seltener Rinderrassen wie dem Tiroler Grauvieh, das sich perfekt in der hochalpinen Landschaft zurechtfindet. Die Tiere wachsen langsam in Mutterkuhhaltung, verbringen ihre Zeit in der Natur und sind in jedem Fall älter als jeder Mastbulle, der oft schon im Alter von 18 Monaten schlachtreif ist.
Auf rund 2000 Meter Seehöhe reifte der Züchter über die Jahre zum Experten seltener Hochtierrassen heran und philosophiert gern über den Wert von gutem Fleisch, über spannende Kreuzungen und verweist auf eine seiner feinsten – „eine Wagyu-Angus-Cuvée“. Fünf Wochen trockengereiftes fein buttriges Fleisch, das zum sofortigen Gipfelsturm auf die Alpinmanufaktur Wilhelm anspornt. Und eben dort, zwischen Tuxer Rindern, Yaks und Zackelschafen, kam ihm eine ungewöhnliche Idee, die sechs Jahre später bei einer Blindverkostung für ein kleines Fleischbeben sorgen sollte.
Unkonventionelle Wege
Auf der Suche nach dem perfekten Geschmack machte er sich 2015 daran, Rinder zu kreuzen: Tuxer, eine der ältesten Rassen Österreichs, traf auf Wagyu, das ebenfalls eine jahrhundertealte Tradition in Japan auf dem Buckel hat. Außerdem auf Original Braunvieh, eine zutiefst heimische Rasse. 2017 verband er Grauvieh mit Fleckvieh, die am weitesten verbreitete Rasse in Österreich. Als viertes Tier wählte er für seine „Rindfleisch-Challenge“ ein männliches reinrassiges Graurind.
Welche Rasse würde das qualitativ hochwertigste Fleisch liefern, welche Kreuzungen würden neues Potenzial aufzeigen? Und wie weit war das Alter des Tieres relevant?
Die vier Rinder verbrachten die Sommer auf dem Berg, die Winter im Stall, wurden nicht gemästet und nur mit sogenanntem Grundfutter versorgt. Durch die Bergpartien bis auf 2600 Meter „bilden sie feines, intermuskuläres Fett aus und entwickeln eine hohe Aromendichte“, erklärt der Züchter. Am 18. Dezember 2020 schlachtete er sie in einer kleinbäuerlichen Metzgerei, ließ sie bei zwei bis drei Grad rund 30 Tage reifen. Binnen zwei Tagen wurden sie dann zerlegt und an rund 60 Tester des KochCampus verschickt, einer Vereinigung von Topköchen und Produzenten.
Die Blindverkostung
Je vier Kilogramm gleiche Fleischteile – vom Mageren Meisel bis zum Kavaliersspitz, vom Ribeye bis zum Hals –, ein Kilogramm von jedem Tier, für ein objektives Testergebnis farbig markiert. Verkostet wurde roh und nach dem jeweils passenden Garverfahren. Das Ergebnis war verblüffend.
Das Gros der Tester fand geschmacklich am besten, was am Markt die schlechtesten Karten hat: Das Fleisch der alten Kuh erzielte Bestnoten – normalerweise wird es verwurstet. Auch das magere Fleisch des vierjährigen Stiers punktete. „Die billigste Kategorie am Markt, fast ein Abfallprodukt“, zeigt sich Wilhelm überrascht und folgert: „Hier ist ein Umdenken notwendig. Langsam wachsende Tiere bringen viel mehr Geschmack.“ Experiment gelungen.
Birgit Pichler