Normal mangelt es in Österreich nicht an Bekenntnissen, Kultur sinn- und identitätsstiftende Funktion zuzuerkennen. Österreich und sein „für das Schöne begnadete Volk“ haben ihr Image als Kulturnation sorgsam gepflegt und weltweit vermarktet. Umso überraschender mag für manche gewesen sein, welchen Stellenwert der Kultur bei der Krisenbewältigung zugewiesen worden ist. Kultur wurde zum Anhängsel, ein unter ferner liefen eingeordnetes Phänomen, dem die Regierungsbank lange wort- und begriffslos gegenübergestanden ist. Das Fremdeln zwischen Spitzenpolitik und Kultur ist zwar nicht neu, was die Schande aber nicht verkleinert. Es fehlten von Beginn an eine politische Lobby und ein grundsätzliches Verständnis der Nöte des Kulturbetriebs.
So war die Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek die bisher einzige Politikerin, die im Rahmen der Krise zurücktreten musste. Ein Rücktritt, der viel über politische Mechanismen sagt. Während ein Tiroler Gesundheitslandesrat problemlos weitermachen kann, ist in der Kultur ein politisches Bauernopfer schnell bei der Hand.
Andrea Mayer folgte nach und konnte verlorenes Vertrauen wieder aufbauen. Die Politik zeigte 2020 ohnehin zwei Gesichter. Einerseits das Versagen in der Kommunikation und willkürliche Strategie, was Lockdown-Regelungen betraf (auch aktuell darf man nicht ins Museum, aber sich am Skilift drängeln). Andererseits gab es aber auch Hilfe, viel Hilfe. Subventionen wurden schnell verlängert, Hilfsfonds eingerichtet, der Umsatzersatz kam auch für die Kultur. Dass große und mittlere Institutionen besser durch die Krise kommen als freie Kulturarbeiter und Künstler, ist eine Folge der Verteilungsfrage im Kulturspektrum, an dessen unterem ökonomischen Ende auch ohne Corona im Prekariat gelebt und gearbeitet wird. Das Szenario für die Zukunft ist hier recht düster: Die Chancen auf eine mittelfristige Ausdünnung des kulturellen Lebens stehen ganz gut.
Die Kultur war bisweilen Komplize der Demontage
Die Kultur arbeitete an der Demontage teilweise mit. Museen blieben aus ökonomischen Gründen zu, selbst als sie schon wieder hätten aufmachen dürfen. Es bedarf keines weiteren Beweises, dass Kultur letztlich dem Diktat der Wirtschaftlichkeit gehorcht und nicht jenem der gesellschaftlichen Verantwortung. Man kann es den Betreibern nicht einmal übel nehmen, ist das doch nur die Folge des wirtschaftlichen Drucks, eines schnöden Kosten-Nutzen-Zweckdenkens, das sich sonst gern in all den Statistiken zur Umwegrentabilität manifestiert.
Die Ohnmacht der Kulturschaffenden war ebenso greifbar wie deren Resilienz. Es wurde auch weitergemacht. Die Krise zeigte jedoch, welche Missverständnisse es bei der Digitalisierung gibt. Livestreams sind als Notbehelfe schön, gut und wichtig, doch sie können im Regelfall das Wesentliche nicht transportieren. Konzerte, Performances, Theater und selbst Ausstellungen sind Live-Formen, die sich nicht 1:1 streamen lassen, weil das Auratische und das Dialogische verloren gehen. Nur wenige Kulturplattformen haben wirklich kreative Formate gefunden, um Inhalte sinnvoll ins digitale Medium zu übersetzen. Dass der Live-Mangel vor Augen geführt hat, wie bedeutsam die Kultur als soziales Ereignis ist, war eine der positiven Lehren, die sich aus Corona ziehen lassen.
Mit einer Normalisierung ist noch lange nicht zu rechnen, wahrscheinlicher ist, dass die ökonomische Situation angespannter wird: wenn Staatsschulden abgebaut werden und wenn Sparpakete kommen. Nicht nur die Förderlandschaft, auch das Verständnis von der sozialen und politischen Notwendigkeit von Kultur wird dann noch viel stärker auf dem Prüfstand stehen als 2020.