Auferstanden aus einer Katastrophe: Das rund 70 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernte Städtchen Venzone gilt bis heute als Symbol für den Wiederaufbau nach dem schweren Erdbeben, das Friaul 1976 erschüttert hat. Nach dem Unglück wehrte sich die Bevölkerung erfolgreich gegen Pläne der italienischen Regierung, das beinahe völlig zerstörte mittelalterliche Zentrum durch moderne Bauten zu ersetzen. Schließlich wurden die historischen Gebäude und die im 14. Jahrhundert von den Kärntner Herzögen ausgebaute Stadtmauer wiederhergestellt. Auch den mehr als 600 Jahre alten Dom setzte man aus den Trümmern neu zusammen.

Die bis heute weltweit bestaunte Leistung lässt das Phänomen, das die Friedhofskapelle daneben zu bieten hat, fast ein wenig untergehen. In ihrer Krypta sind fünf Mumien ausgestellt. Die völlig ausgetrockneten und deshalb nicht verwesten Leichen geben der Wissenschaft bis heute Rätsel auf. Sie stammen alle aus Gräbern im Steinboden des Doms, wo zwischen 1348 und 1881 Angehörige des Klerus und besonders prominente Bürger beerdigt wurden.

Die erste Mumie entdeckten Bauarbeiter 1647 in einem Grab aus dem 14. Jahrhundert. Wegen ihrer verkrümmten Wirbelsäule wird sie „il Gobbo“ (der Bucklige) genannt. Mittlerweile ist durch aufwendige Röntgen- und CT-Untersuchungen klar: Der Mann starb im Alter zwischen 45 und 60 Jahren. Bucklig war er nie, die Krümmung geschah post mortem - möglicherweise infolge des Mumifizierungsprozesses.

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Insgesamt soll man in den 250 Jahren nach dem Auftauchen von „il Gobbo“ 42 Mumien im Dom gefunden haben. Wer nach Venzone kam, ließ sich ihren Anblick nicht entgehen. 1797 machten französische Soldaten auf ihrem Italienfeldzug Jagd auf makabre Souvenirs, weshalb manchen Leichen seither einige Finger und Zehen fehlen. Aus dieser Zeit stammt wohl auch die Legende über Napoleons Wunsch, dass man ihn in Venzone bestatten sollte, um seinen Körper der Nachwelt zu erhalten.

Viele Mumien sind verschwunden

Die Geschichte machte die Mumien noch berühmter. Durch „Verlustfälle“ sank ihre Zahl bis 1976 auf 22. Zumindest eine Leiche ging im Dienst der Wissenschaft drauf. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts seziert, um herauszufinden, was die Mumifizierung ausgelöst hat. Als schlüssigste Erklärung galt lange Zeit ein Befall der in Holzsärgen bestatteten Körper durch einen Schimmelpilz. In Kombination mit dem hohen Gehalt an Kalziumsulfat im Steinboden soll er für die rasche Austrocknung verantwortlich gewesen sein.

„Mittlerweile gibt es erhebliche Zweifel an dieser Theorie“, sagt der italienische Mumienforscher Dario Piombino-Mascali. Als der amerikanische Paläopathologe Arthur C. Aufderheide die Mumien und die Gräber im Dom mit modernsten Methoden unter die Lupe nahm, konnte er dabei keine Spur des Schimmelpilzes entdecken. Aufderheide vermutet die Ursache für den Flüssigkeitsentzug in der unmittelbaren und im wahrsten Sinn des Wortes staubtrockenen Umgebung der Toten.

Überprüfen lässt sich die Theorie nicht. Im Dom werden keine Toten mehr bestattet. Die Körper bleiben damit ein einzigartiges „Wunder“, mit dem sich die Bewohner von Venzone abseits aller Gruselfaktoren regelrecht angefreundet haben: Lustige Mumien-Karikaturen kennzeichnen die Geschäfte in der Altstadt, in denen die Jetons zum Öffnen des Drehkreuzes der Ausstellung in der Krypta verkauft werden.