Sie wissen gar nicht, wie sehr es mich aufwühlt, Ihnen zu schreiben. Ich kann mit niemandem darüber reden und ich schäme mich so. Ich bin 84 Jahre alt. Mein Mann, den ich sehr geliebt habe, ist vor zehn Jahren gestorben. Wir hatten eine gute Sexualität, aber sie stand nicht im Mittelpunkt. Wir hatten viele Gemeinsamkeiten, die viel mehr Platz eingenommen haben. Gerade deswegen verstehe ich nicht, was mit mir los ist. Einige Zeit nach dem Tod meines Mannes verspürte ich ein starkes Bedürfnis, mich selbst zu berühren und zu befriedigen. Anfangs versuchte ich dieses Bedürfnis zu bekämpfen, aber ich schaffte es nicht. Ich fürchtete mich vor jeder Beichte und tu’s immer noch. Was denkt sich unser Pfarrer von mir? Ich schäme mich so! Was ist nur los mit mir?
Elia Bragagna antwortet: Was Sie mir schreiben, ist herzzerreißend. So viel Schamgefühl wegen etwas, was das Natürlichste der Welt ist! Selbstbefriedigung ist eine Reaktion des Körpers auf ein Bedürfnis nach Berührung, Zärtlichkeit oder Orgasmus. All diese Bedürfnisse bekommen wir von der Natur mit. Ich lese ein starkes Schamgefühl aus Ihrem Brief: Wie Ihre ganze Generation sind Sie sehr stark von einer Zeit geprägt, in der Frauen keine sexuellen Bedürfnisse haben sollten. Gynäkologen empfahlen für Mädchen, die sich selbst befriedigten, die Klitorisentfernung, und 1975 meinte Papst Paul VI.: „Masturbierende gehen der Liebe Gottes verlustig.“ Heute zeigen die Daten, dass sich jede sechste Frau in der Altersgruppe 65 bis 85 selbst befriedigt. In Ihrem Alter hat man oft keine Person mehr, die einem körperlich so nah steht, um Berührungen auszutauschen. Erlauben Sie es sich daher ohne Scham, sich selbst zu lieben! Was wäre das für ein Schöpfer, der uns diese Gabe gibt und uns dann dafür bestraft!