Überlebende, auf Englisch Survivor. So bezeichnen wir uns, die wir im Kindes- oder Jugendalter eine Krebserkrankung überstanden haben. Ich war 14 Jahre alt, als ich an akuter lymphatischer Leukämie erkrankt bin. Nun sind es schon mehr als zehn Jahre, dass ich die Therapie abgeschlossen habe.

Meine Diagnose erhielt ich am 26. September 2006: Ich konnte den ganzen Sommer davor beobachten, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich hatte oft starkes Nasenbluten, außerdem Probleme mit der Kondition – zuerst habe ich das abgetan, weil ich nicht sportlich war, sondern ein Bücherwurm. Doch als ich dann bei einer Wanderung schon nach ein paar Hundert Metern weggekippt bin, sind meine Eltern mit mir auf die Kinderklinik gefahren. Dem Arzt ist gleich aufgefallen, dass ich sehr blass bin. Mir wurde Blut abgenommen und dann kam schon der damalige Onkologie-Chef Professor Christian Urban herein. Die Diagnose war Leukämie, ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet. Als das erste Mal das Wort Chemotherapie fiel, begann es einzusickern. Bis ich realisierte, dass ich Krebs habe, und dieses Wort benutzte, dauerte es Monate. Im Gespräch mit meiner Mutter habe ich gesagt: „Mama, das klingt, als wäre das so etwas wie Krebs.“ Sie hat gesagt: „Hannah, das ist Krebs.“

Mein Vorteil ist, dass ich ein sehr sonniges Gemüt habe. Ich bin in die Therapie sehr positiv hineingegangen, mit dem Gedanken: Was bringt es mir, jetzt grantig zu sein oder darüber nachzudenken: ­Warum ich? Ich habe mir gedacht: Am besten ich arbeite mit, eine andere Möglichkeit hatte ich eh nicht. Natürlich gab es Tage, die waren furchtbar – aber nicht jeder Tag mit Chemo ist furchtbar.Damals war das eben mein Leben. Die erste Zeit war von Angst geprägt, aber ich habe es immer mit einem lachenden Gesicht genommen – denn ich hatte die Wahl, die Situation mit Wut oder guter Laune zu überstehen. Was davon macht es für mich einfacher? Das war immer das lachende Gesicht. Der 26. September 2006, der Tag meiner Diagnose, wird für mich wohl immer Bedeutung haben. Die Krankheit ist zwar immer da, aber sie verliert an Präsenz.

Dass ich zur ersten „Survivorin“ hier in Graz geworden bin und das Programm mitaufgebaut habe, war eigentlich ein Zufall. Ich hatte gerade Matura gemacht, war noch unsicher, was ich studieren sollte. Die Psychologinnen hier an der Klinik haben mich auf das Mentoren-Programm aufmerksam gemacht. Zuerst dachte ich, ich will das nicht machen, wer weiß, was es in mir aufwühlt. Doch dann dachte ich mir: Wenn es etwas in mir aufwühlt, bedeutet das doch, dass da noch etwas ist, was ich verarbeiten sollte.

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Ich habe mich entschlossen, als Survivor kranke Kinder zu besuchen, und im Zuge dessen bin ich auch auf den Gedanken gekommen: Warum nicht Psychologie studieren? Das habe ich dann auch umgesetzt, heute leite ich außerdem die Survivors Steiermark. Wir kommen auf die Kinderkrebsstation und besuchen Kinder und ihre Familien, wenn sie das wollen. Das 0815-Gespräch gibt es dabei nicht: Die Patienten selbst fragen oft: Wie ist es dir mit dem Medikament gegangen, wie hast du mit deinen Haaren getan? Die Eltern: Wie geht es dir jetzt, wie sieht dein Leben aus? Mit kleineren Kindern spielen wir nur und die überraschen uns oft am meisten, weil sie pfeffern dir eine Frage hin und du denkst dir: Das hätte ich von einem Vierjährigen nicht erwartet.

An einen Buben werde ich mich immer erinnern: Er war fünf, hatte eine spiegelnde Glatze, wir haben wild und laut gespielt, und irgendwann schaut er uns an und sagt: „Wann reden wir jetzt eigentlich über meine Krankheit?“ Kinder machen oft solche Sachen, es kommt ganz schonungslos einfach raus, auch Fragen zum Tod zum Beispiel.

Uns wurde schon oft gesagt, dass wir für die Kinder und ihre Eltern das lebende Beispiel dafür sind, dass es gut ausgehen kann und man nach einer Krebserkrankung ein ganz normales Leben führen kann. Wenn ich an meine Zeit zurückdenke: Ich war auf einer Station mit lauter kranken Kindern. Die, die gesund sind, die habe ich nie gesehen. So gesehen ist unsere Anwesenheit schon ein Hoffnungsschimmer. Wir kommen zurück und zeigen: Es kann normal weitergehen. Ein normales Leben ist möglich, in manchen Fällen zwar mit Einschränkungen, aber es geht.

Und man kann es überleben, das ist auch wichtig. Denn Krebs ist immer noch, trotz der hohen Heilungschancen, ganz eng mit dem Tod verbunden. Wenn man dann jemanden sieht, der normal ausschaut, sich normal bewegt, studiert oder eine Familie gründet, dann fällt von den Familien eine Last ab – es ist nicht komplett hoffnungslos und wir quälen uns nicht umsonst. Es sind zwar anstrengende Nachmittage, aber ich gehe auch leuchtend raus. Wir geben nicht nur, sondern bekommen von den Kindern ganz viel zurück – von dieser Hoffnung und der Lebensfreude, die sie trotzdem ­haben.