Ohne Vorwarnung passierte es. „Ich fürchte, Sie haben eine bösartige Tumorerkrankung“, sagte der junge Radiologe in der Mammografiepraxis und sah mich mit einem ernsten und zugleich mitleidigen Blick an. Totale Anspannung. Tausend Fragezeichen im Kopf. „Sie meinen Krebs?“, entfuhr es meinem Mund. Instinktiv und ohne über die eigentliche Tragweite dieser Frage nachgedacht zu haben. Es ging einfach alles viel zu schnell. Blitzschnell. In Erwartung seiner Antwort weiteten sich meine Pupillen, mein Puls schnellte hoch und da war sie wieder – diese fürchterliche, panische Angst, die mich bereits in der Nacht zuvor kein Auge hatte zutun lassen.
Der freundliche Mediziner, der mir gegenüber auf einem kleinen, beweglichen Hocker saß, rollte ein Stück weit in meine Richtung, beugte sich zu mir und antwortete ohne Umschweife in seinem osteuropäischen Akzent: „Leider – ja.“ Leise, betroffen, aber klar und ohne den Hauch eines Zweifels in der Stimme.
Eine Gedankenexplosion. Ich taumelte, obwohl ich fest auf der Liege saß, rang nach Luft und war völlig paralysiert. Wiewohl ich tief im Innersten bereits wusste, dass da etwas in meiner linken Brust wuchs, das dort nicht hingehörte, hätte ich zu diesem frühen Zeitpunkt nie und nimmer mit einer Krebsdiagnose gerechnet. Ich war starr vor Entsetzen, mein Kopf fühlte sich rot und heiß an und ich kämpfte mit den Tränen. Unter meinen Beinen tat sich ein tiefes schwarzes Loch auf und ich befand mich von einer Sekunde auf die andere im freien Fall. Es ging nach unten. Schnell nach unten.
Die Diagnose kam 2013 aus dem Nichts und zog mir sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Nie hätte ich gedacht, einmal selbst von Krebs betroffen zu sein, doch diese heimtückische Krankheit macht vor niemandem halt. Und es kam noch schlimmer: Kurze Zeit später erfuhr ich, dass mein winziges Mammakarzinom bereits massiv in die Leber und in die Knochen gestreut hatte. Das alles ohne genetische Vorbelastung und trotz regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen; prognostizierte Durchschnittsüberlebenszeit: zwei bis vier Jahre.
Was folgte, war der Beginn eines kräftezehrenden Therapiemarathons mit Operationen, Chemos, Antihormon- und Antikörper- sowie zielgerichteten Therapien, Bestrahlungen, Knochenaufbauspritzen usw., der bis an mein Lebensende andauern wird.
Getragen von viel positiver Energie und ausgestattet mit jeder Menge Lebensfreude, Zähigkeit und Optimismus, gelang es mir, den Krebs im Zaum zu halten, mal besser – mal schlechter. Über sechs Jahre lebe ich nun bereits mit meiner Erkrankung und gelte als Langzeitüberlebende. Stets an meiner Seite meine Herzensmenschen – mein Mann Peter, meine Familie und meine Freundinnen. Wie es weitergeht? Die Zukunft wird es zeigen.
Im Moment kämpfe ich mit kürzlich diagnostizierten Bauchfell-Metastasen und habe soeben einen 9-stündigen Eingriff samt Chemo im offenen Bauchraum hinter mich gebracht. Sämtliche Nebenwirkungen und Schmerzen inklusive. Dabei will ich doch nur eines: nämlich leben, und das möglichst lange. Von einer fortgeschrittenen Erkrankung spricht man dann, wenn der Krebs bereits „gestreut hat“, das heißt, wenn er irgendwo im Körper „Absiedlungen“ gebildet hat. Damit ist in der Regel der Status „unheilbar“ verbunden.
Was unterscheidet aber eine metastasierte Erkrankung von einer nicht metastasierten Erkrankung? Frauen mit metastasiertem Krebs leiden unter einer chronischen, unheilbaren Krankheit, man kann damit nicht einfach in sein altes Leben wieder einsteigen. Man braucht eine Dauertherapie, muss mit fortwährenden Nebenwirkungen und Schmerzen zurechtkommen, man trägt eine enorme psychische Belastung. Und man stellt Familie und Umfeld vor große Herausforderungen. Dazu ist man plötzlich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert.
All diese Punkte machen den Rucksack, den man von einem auf den anderen Tag ungewollt umgeschnallt bekommt, äußerst schwer.
Doch es bringt nichts, heute daran zu denken, welche Katastrophen morgen möglicherweise über einen hereinbrechen könnten. Es gilt, das Leben in vollen Zügen zu genießen – getreu dem Motto:
„Every day is an adventure!“ Ich versuche mich an schönen und erfreulichen Dingen zu orientieren. So setze ich mir leuchtende Fixsterne auf der Lichterkette meines Lebens, wie etwa Urlaube, Konzerte und Treffen, und tue alles, um diese Sterne auch tatsächlich zu erreichen.
Aber natürlich habe ich auch dunkle, ängstliche Tage, was angesichts meiner eindrucksvollen Krankengeschichte wenig verwundert. Ich kann nicht immer nur lächeln. Es gibt sie – diese Heultage, diese „Ich seh keinen Sonnenstrahl am Himmel“-Zeiten.
Um mich selbst aus meinem eingangs beschriebenen schwarzen Loch herauszuholen, habe ich mich umorientiert und meinen Fokus verändert. Ich sehe mich als Brustkrebsaktivistin, Bloggerin und Autorin, deren Herz für Brustkrebsagenden schlägt. Ich wollte nicht nur zu Hause sitzen, sondern etwas für mich, für andere Betroffene und für Angehörige tun, das in Zusammenhang mit Schreiben, meiner großen Leidenschaft, und meiner intensiven Krankheitserfahrung steht.
Und so entstand die Idee zu meinem Blog, mit dem ich 2016 startete. Seither poste ich täglich, tagebuchähnlich, und das mit anhaltender Begeisterung – für mittlerweile über 8000 Follower. Mit meinem Blog Claudias Cancer Challenge (www.facebook.com/claudiascancerchallenge) porträtiere ich mein Leben als Patientin mit metastasiertem Brustkrebs und schreibe über meine Gedanken, Ängste und Wünsche. Weiters informiere ich über die Krankheit, rufe zur Vorsorge auf und organisiere Veranstaltungen (Pink Cooking, Fotoshootings …). Um das Bild abzurunden, gewähre ich natürlich auch private Einblicke und erzähle beispielsweise gerne von unseren Reisen – meiner größten Kraftquelle.
Wenn ich dafür Feedback wie „Du hast mir Mut und Hoffnung gemacht“ bekomme, dann ist das zugleich das wertvollste Geschenk und der Motor, der mich antreibt.
Schreiben ist Teil meines Verarbeitungsprozesses. Mein Anspruch: Ich möchte Gesicht und Stimme einer Krankheit sein, über die sich ein dunkelgrauer Schleier breitet. Ich sehe meine Erkrankung generell als große Herausforderung, die es mit Zuversicht, Zielgerichtetheit und Lebensfreude zu meistern gilt. Heute und hoffentlich auch in den nächsten Jahren. Denn: Ich möchte noch zahlreiche Projekte verwirklichen und Spuren hinterlassen.
So seltsam das auch für manche Ohren klingen mag: Die Erkrankung hat nicht nur Negatives, sondern auch Positives mit sich gebracht. Wie ich das meine? In den letzten Jahren sammelte ich einzigartige Erfahrungen und lernte wundervolle Menschen kennen. Ich wurde nicht nur zwei Mal für meinen Blog ausgezeichnet, sondern durfte auch Liz Hurleys Laudatio bei der „Women oft the Year“-Gala halten und im Film „15 Jahre Pink Ribbon“ mitwirken. All das bedeutete mir ungemein viel und ließ mich strahlen.
In den vergangenen sechs Jahren gab es zahlreiche Hochs und Tiefs, gute und schlechte Untersuchungsbefunde, inspirierende Begegnungen und interessante Erkenntnisse; aber auch schlimme Schockerlebnisse und niederschmetternde Diagnosen.
Claudia Altmann-Pospischek