Herr Madeo, als Biochemiker beschäftigen Sie sich intensiv mit den Prozessen in unserem Körper. Welche Erkenntnis hat dabei Ihr eigenes Leben am stärksten verändert?
Frank Madeo: Die Tatsache, dass Fasten den Stoffwechsel so fundamental umstellt, dass es keinen Vergleich gibt. Egal was man tut, nichts ändert sowohl die Biochemie als auch die Physiologie im Körper stärker als Fasten. Innerhalb relativ kurzer Zeit stellt sich der gesamte Stoffwechsel von Kohlenhydrat- auf Fettverbrennung um. Ein eher persönliches Beispiel für die Macht biochemischer Prozesse habe ich am Leib einer alten Freundin erfahren: Sie wäre als Jugendliche beinahe auf die schiefe Bahn geraten. Dann fand man heraus, dass sie unter einer starken Schilddrüsenunterfunktion litt. Sie nahm Schilddrüsenhormone und war dann, nur durch das Hinzufügen eines einzigen Hormons, ein anderer Mensch. Sie hat bis heute eine fantastische Karriere gemacht.
Nicht nur Ihre eigenen Forschungsergebnisse zeigen: Fasten bringt unseren Körper dazu, auf zellulärer Ebene aufzuräumen - der Prozess der Autophagie wird angeregt, der womöglich das Altern bremsen kann. Doch wie findet man die richtige Balance zwischen Verzicht und Genuss?
Wir sollten hier vielleicht auf unsere Vorfahren schauen: Die haben körperlich gearbeitet und gelegentlich gefeiert, um dann die Zügel locker zu lassen. Ich glaube, dass das ein Bedürfnis ist, denn wer sich immer diszipliniert, vertrocknet, und wer immer feiert, verkommt. Wer immer feiert, feiert eigentlich nie, denn der Genuss entsteht auch aus dem Kontrast zum Verzicht.
Wie kann jeder von uns den „säubernden“ Effekt der Autophagie in sein tägliches Leben integrieren?
Wenn man eine Mahlzeit am Rande der Nacht weglässt - Frühstück oder Abendessen also -, dann kommt man auf 15, 16 Stunden Pause. Das könnte schon ausreichend sein, um in einigen Organen die Autophagie auszulösen. Wenn man dann noch, sagen wir, zum Frühstück einen schwarzen Kaffee trinkt, hat man einen weiteren Auslöser für Autophagie hinzugefügt. Und schließlich kann Ausdauersport ebenfalls Autophagie auslösen.
Und wie handhaben Sie es selbst mit dem Fasten?
An sieben oder acht von zehn Tagen faste ich: Ich habe ein Essfenster etwa zwischen 17 und 20 Uhr. Auch treibe ich gelegentlich hungrig Sport: Das entspricht unserer Evolutionsbiologie. Wer hungrig war, ging sich etwas jagen. Heute gehen wir nach einem Sitzungstag im Büro vom Sofa zum Gefrierfach jagen - das ist sicher gegen unsere Natur. Ich trinke auch keinen Kaffee mehr nach 12 Uhr, weil das den Nachtschlaf stört. Aber die Liste der Erkenntnisse aus der Forschung, die lebensverändernd sein können, ist endlos.
Viele dieser Erkenntnisse teilen Sie regelmäßig auf Ihrer Facebook-Seite: Warum ist Ihnen diese breite Aufklärungsarbeit wichtig?
Viele Menschen sind durch das penetrante Bombardement der modernen Medien verwirrt. Man kann eine noch so absurde Diagnose oder Meinung über Google suchen und wird irgendeinen Menschen finden, der einen bestärkt. Ich sehe es als eine meiner Aufgaben als Forscher, gut gemachte Studien von qualitativ minderwertigen zu unterscheiden. Dabei habe ich eher einen liberalen als einen erzieherischen Impetus: Jeder soll tun, wozu er Lust hat - aber wenn ich Zuschriften bekomme, die sagen: Ich habe das ausprobiert, jetzt geht es mir besser, dann freue ich mich.
Eine der Krankheiten, vor denen man sich unbedingt schützen möchte, ist Krebs. Gibt es Lebensweisen, mit denen man das erreichen kann?
Leider ist es so, dass ein guter Teil der Krebserkrankungen nicht durch Verhalten beeinflusst werden kann - sie werden durch spontane Mutationen oder genetische Defekte ausgelöst und sind also großes Pech. Aber: Über die Hälfte aller Krebserkrankungen könnten durch die Lebensweise verhindert werden, wie eine neue Studie zeigt, in der 150.000 Menschen untersucht wurden. Auch die Aggressivität schon bestehender Tumore ist entscheidend durch die Lebensweise beeinflussbar. Die wichtigsten Faktoren, die vor einer Tumorerkrankung schützen können, sind: nicht rauchen, wenig Alkohol trinken, Übergewicht vermeiden, Sport treiben - mindestens 75 Minuten pro Woche intensiv oder aber 150 Minuten pro Woche mit mittlerer Anstrengung. Außerdem gibt es noch weitere „weichere“ Faktoren, die nicht in der Studie inkludiert waren: Man sollte tierische Produkte reduzieren, aber nicht völlig streichen, gelegentlich fasten und Ballaststoffe zu sich nehmen.
In einem Posting widmen Sie sich der Kraft des Yoga: „Der Effekt war so stark, dass ich sofort wusste: Das hier, das wirst du den Rest deines Lebens jeden Tag tun.“ Warum hat Sie gerade Yoga überzeugt?
Ich bin Naturwissenschaftler und kein Esoteriker. Yoga hat körperlich nachweisbare Effekte auf den Blutdruck und das vegetative Nervensystem. Selbst Botenstoffe in unserem Gehirn, die von Beruhigungspillen angesteuert werden, können durch Yoga aktiviert werden. In den meisten Studien ist Yoga klassischen Sportarten daher überlegen.
Der Jahreswechsel ist die Zeit der Vorsätze: Wenn Menschen nur eine Sache ihren Lebensstil betreffend ändern wollen - was sollte das Ihrer Meinung nach sein?
Es ist egal, was man tut, aber man sollte sich bewusst machen, dass zur Erreichung eines großen Zieles viele kleine Schritte notwendig sind. Das gilt auch, wenn man etwas lassen will - zum Beispiel das Rauchen, wenn man also ein passives Ziel verfolgt. Auch glaube ich, dass man einen Energieschub braucht oder auch die Bereitschaft, einmal deutlich mehr als üblich zu leiden, um eben den negativen Zyklus zu brechen. Dafür wiederum braucht es aber ein Ziel, das es wert scheint. Darum ist es so wichtig, sich eine Idealsituation seiner Zukunft vorzustellen - etwas, wofür es sich lohnt.