Ulrike Schiesser stellt eine kleine leuchtende Lampe auf den Tisch, in der Silberteilchen glitzern. „Diese Lampe“, erklärt die Psychologin, „wird mit dem Versprechen verkauft, dass sie, neben dem Teller platziert, schädliche Schwingungen aus Lebensmitteln löscht und vor Nahrungsmittelintoleranzen schützt.“ Kostenpunkt dieser „Wunderlampe“: 3000 Euro. Das sei einer der extremsten Auswüchse des Geschäfts mit dem Thema Nahrungsmittelunverträglichkeiten, auf das Experten nun aufmerksam machen.

"Böses" Gluten

Immer mehr Menschen denken, dass Essen sie krank macht: Missstimmungen und Verdauungsprobleme werden bestimmten Inhaltsstoffen wie Laktose oder Gluten angelastet. Um diese Selbstdiagnose zu bestätigen, werden Selbsttests aus dem Internet oder andere dubiose Testverfahren zurate gezogen, denen jede wissenschaftliche Grundlage fehlt.

Dieses Video könnte Sie auch interessieren

„Der natürliche Umgang mit Nahrungsmitteln geht leider verloren“, sagt Allergologe Gunter Sturm. Dass Zwiebeln oder Bohnen Blähungen verursachen, sei zum Beispiel nicht mehr bekannt - so werden ganz natürliche Reaktionen des Körpers zur Krankheit umgedeutet. „Während 17 Prozent der Bevölkerung glauben, an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit zu leiden, kann das nur bei einem Prozent dieser Menschen mit einem Test bestätigt werden“, sagt Sturm.

Nur Atemtest ist zulässig

Die Industrie ist auf diesen Hype aufgesprungen - mit Produkten, die mit den Begriffen „frei von“ beworben werden, teuer sind, „aber nicht gesünder“, wie Sturm sagt. Gleichzeitig werde auch mit unwissenschaftlichen Tests ein Geschäft gemacht. „Es gibt einen Atemtest, mit dem eine Unverträglichkeit von Laktose oder Fruktose festgestellt werden kann“, sagt Sturm. Alle anderen Diagnosetechniken seien abzulehnen.

Ein solches unwissenschaftliches Testverfahren sei die Suche nach IgG-Antikörpern. „Werden diese Antikörper für Nahrungsbestandteile im Blut gefunden, bedeutet das nur, dass sich das Immunsystem häufig mit dem Stoff auseinandersetzt“, sagt Allergologin Barabara Bohle (MedUni Wien). Ein erhöhter IgG-Spiegel gegen Milcheiweiß bedeute nur, dass jemand oft Milch trinkt. „Für die Diagnose einer Unverträglichkeit sind diese Antikörper aber nicht aussagekräftig“, sagt Bohle.

Gefahr der Mangelernährung

Auch Diätologin Martina Fischl beobachtet, dass immer mehr Menschen sich selbst auf strikte Diäten setzen, weil sie glauben, einen bestimmten Nahrungsbestandteil nicht zu vertragen, oder weil sie Listen von „verbotenen“ Lebensmitteln aus dem Internet bezogen haben. Solche strikten Diäten könnten im schlimmsten Fall zur Mangelernährung führen. Sie appelliert daher: „Wenn man denkt, man könnte an einer Unverträglichkeit leiden, sollte man das immer von einem Arzt untersuchen lassen“, sagt Fischl. Ausgebildete Diätologen könnten dann helfen, gut mit einer Unverträglichkeit zu leben.

„Die Ernährung ist ein willkommener Sündenbock dafür, dass man sich nicht gut fühlt“, erklärt Psychologin Schiesser, warum Unverträglichkeiten zur Modeerscheinung geworden sind. Denn während man die Kontrolle über viele andere Unannehmlichkeiten im Leben - Job, Privates - verloren habe, ist die Ernährung etwas, das man kontrollieren könne.