Ich hatte vor Kurzem ein Interview mit dem Virologen Florian Krammer. Er meinte auf die Frage, ob der Herbst 2023 schon eine "normale Erkältungssaison sein werde", dass auch eine normale Saison, wenn diese stärker ausfällt, Spitäler an die Grenzen bringen kann – eben auch ohne Covid-19. Sehen Sie das auch so?
ISABELLA ECKERLE: Ja, wir vergessen immer, dass wir schon vor der Pandemie immer wieder Winter hatten, die das Gesundheitssystem in die Knie gezwungen haben, zum Beispiel wegen der Influenza. Die Frage ist jetzt: Nehmen wir das einfach hin oder versuchen wir, diese respiratorischen Viren mit Maßnahmen, die wir in der Pandemie gelernt haben, besser zu kontrollieren? Das bedeutet nicht, dass wir jetzt einen Lockdown machen sollten, aber wir haben Tools, etwa Masken.
Prävention, also Investitionen, Vorbereitungen, um Krankheiten zu verhindern, sind in Österreich zumindest kaum wahrzunehmen, in anderen europäischen Ländern ist es ähnlich, wieso ist es so schwierig, aus den letzten drei Jahren zu lernen?
Wir hatten jetzt eine lange Zeit ohne Maßnahmen, das Bewusstsein scheint irgendwie weg zu sein. Ich bin erst vor Kurzem Zug gefahren, Leute um mich herum haben gehustet und geniest, niemand hatte eine Maske auf oder auch nur in den Arm geniest. Wir müssten es nach dieser Pandemie so viel besser machen können, zumindest, dass man eine Maske aufsetzt, wenn man erkältet im Zug sitzt – oder in der Notaufnahme. Es gibt so viele kleine, wirkungsvolle Maßnahmen, da müssen wir nicht über Lockdowns oder über Maskenpflicht sprechen.
Wieso schaffen wir das nicht?
Ich habe das Gefühl, dass wir noch in der Akutphase der Pandemie hängen geblieben sind – zumindest gedanklich –, wo es darum ging, Todesfälle und die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Aber aus der Phase sind wir raus. Man kann sagen, für die allermeisten Leute wird diese Erkrankung wahrscheinlich nicht ins Krankenhaus führen, schon gar nicht auf die Intensivstation, auch nicht zum Tod. Das heißt, die Nachricht für die individuelle Person ist für den Großteil der Bevölkerung gut. Aber: Was wir etwa bei Omikron gesehen haben, wenn wir alle in kurzer Zeit mit einem respiratorischen Virus infiziert werden, selbst wenn das nur moderate Infektionen sind, dann führt dies zu Arbeitsausfällen, zu Schulausfällen. Aber gedanklich haben wir diesen Übergang von der Pandemie in die postpandemische Phase einfach noch nicht geschafft. Und Situation ist auch nicht mehr so gut vorhersagbar wie vor der Pandemie. Unser gesamtes Wissen, dass wir zu respiratorischen Viren haben, steht im Moment auf dem Prüfstand.
Was meinen Sie damit?
Vor der Pandemie hatten wir eine strenge Einteilung der Übertragung durch die Luft, also aerogen: Man dachte, dass dies nur bei wenigen Erregern möglich ist, zum Beispiel Masern oder Windpocken. Bei allen anderen Viren wurden die Tröpfchen als Übertragungsweg angenommen, weswegen auch das Händewaschen am Anfang der Pandemie so im Vordergrund stand. Und jetzt sehen wir, dass es nicht so ist, eigentlich ist es mehr eine Grauzone, und wahrscheinlich werden viele Viren durch die Luft übertragen bei entsprechenden Bedingungen. Das bedeutet, wir müssen unsere Präventionskonzepte auf den Prüfstand stellen. Und wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie viele Arbeitsausfälle, Schulausfälle, Krankheit nehmen wir in Kauf und inwieweit sind wir bereit, etwas dafür zu tun, Viren einzudämmen. Ein Beispiel ist die Raumluftqualität, diesen Aspekt hat man in der Form vorher nicht erkannt, und ich finde es erstaunlich, wie schwer man sich damit tut. Wir würden alle davon profitieren, wenn wir gute Raumluft haben in Schulen, in Büros, in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Haben wir wenigstens aus der Pandemie für eine mögliche nächste Pandemie gelernt?
Es braucht eine andere Kommunikation, und wir müssen diese der Situation anpassen. Ein Beispiel: Wir bemerken, die Fälle steigen, es kommen auch erste Influenzafälle hinzu. Dann könnten man in Echtzeit verstärkt informieren. Was kann die Impfung, was kann sie nicht? Sie kann vor schwerer Erkrankung schützen, vor Ansteckung nicht. Wie kann man das Risiko der Ansteckung reduzieren? Ich habe das Gefühl, die Aufmerksamkeit für Viren wird nicht so schnell verschwinden, das könnte man doch auch positiv nutzen, indem man sagt, die Menschen wollen eine gewisse Gesundheitskompetenz erlangen.
Eine "Pandemie" ist gerade in der Tierwelt zu beobachten, ein Vogelgrippevirus dezimiert unterschiedlichste Populationen – Nerze, Vögel, auch Seehunde –, wie gefährlich kann das für uns Menschen werden?
H5N1-Viren können als Zoonose auftreten, sie können Menschen infizieren, tun dies aber bisher nur sehr selten. Das betrifft ausschließlich Menschen, die eine extreme Exposition zu erkrankten Tieren haben und sehr viel Virus inhalieren. Denn dieses Virus muss tief in die Lunge vordringen, um zu infizieren. Die gute Nachricht ist, wir kennen dieses Virus schon lange, und es hat diese Hürde der Übertragbarkeit bisher noch nicht überwunden. Andererseits sehen wir seit 2021 eine starke Dynamik in Vögeln und auch zahlreiche Infektionen bei Säugetieren. Aber bei diesen Vogelgrippeviren reicht nicht eine Mutation und, zack, haben wir eine menschliche Pandemie. Das Virus muss ganz viele Treppenstufen hochgehen und es fehlen noch viele Schritte hin zu einem menschlichen Virus. Das Virus hätte wahrscheinlich auch Probleme damit, die Immunantwort in unseren Zellen zu übergehen. Aber wenn wir jetzt nicht kurzfristig denken, sondern an die nächsten zehn Jahre, dann haben wir hier ein Virus, das diesen ersten Sprung in die Säugetiere schon recht gut schafft. Die Frage ist: Baut sich da eben jetzt eine Zirkulation in Säugetieren auf, die wir dann nicht mehr zurückholen können?
In Ihrem Buch "Viren, Fledermäuse und Menschen: Eine folgenreiche Beziehungsgeschichte" beschreiben Sie ja Zoonosen wie dieses Vogelgrippevirus. Wie beeinflusst unsere Lebensweise, auch unser Wirtschaftssystem die Entstehung bzw. die Verbreitung solcher Erreger?
Zoonosen sind kein neues Phänomen. Was sich aber verändert hat, ist, dass wir Menschen nie zuvor so eine individuenreiche Population darstellten und unsere Welt heute komplett vernetzt ist. Das heißt, jeder Erreger, der einmal den Eingang in die Menschheit schafft, der schafft es in kurzer Zeit einmal um die Welt. Das andere ist, dass wir eben immer intensiver mit Tieren interagieren, immer mehr Ökosysteme modifizieren, immer mehr auch mit Wildtieren in Kontakt kommen. Dadurch gibt es immer mehr Schnittstellen zwischen Wildtieren und deren Viren, denen wir normalerweise nie begegnen würden – und unseren Nutztieren und uns. Wenn da ein neuer Erreger ist, der fit ist und wir ihm diese Brücke bauen, dann öffnen wir der nächsten Pandemie Tür und Tor.