"Wir sehen pro Woche drei bis vier Jugendliche nach einem Suizidversuch", sagt Paul Plener, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP). Diese doch dramatischen Zahlen spiegeln sich auch in der Statistik wider. Daten aus dem klinischen Bereich belegen seit 2018 eine Steigerung bei suizidalen Gedanken und Handlungen bei unter 18-Jährigen um das Dreifache. Aufgrund dieser Steigerung fordert Isabel Böge, Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am LKH Süd / Med Uni Graz, auch dringend einen besseren Zugang zu Betreuungsangeboten, denn "die Versorgung ist nicht hinreichend, besonders in den Regionen".
Pro Jahr sterben in Österreich etwa 1100 Menschen am Suizid, 25 bis 30 davon sind unter 18 Jahren alt. Dennoch ist Suizid die zweithäufigste Todesursache in der Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Suizidgedanken finden sich bei mehr als der Hälfte (53 Prozent) der Jugendlichen, die sich in einer Ambulanz vorstellen. "Das Thema der zunehmenden Suizidversuche, die wir sehen, beschäftigt uns sehr im klinischen Alltag", sagt Plener, der Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien ist.
Am AKH hat sich die Zahl der Jugendlichen, die sich nach einem Suizidversuch gemeldet haben, von 67 (2019) auf 200 (2022) gesteigert – wobei die Zahl der Vorstellungen bei rund 1200 pro Jahr gleich geblieben ist.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in der Steiermark. Am LKH Süd II in Graz wurden 103 Kinder und Jugendliche im Jahr 2018 aufgrund von einer suizidalen Krise aufgenommen, 2022 waren es schon 310 Patientinnen und Patienten. Dabei nahmen akute Belastungen und psychische Krisen als zugrunde liegende Diagnosen deutlich zu, während die Depression gleichbleibend hoch vorhanden war. Grundsätzlich stagnieren die Zahlen in Bezug auf Suizid in der Steiermark, wie Go-On Suizidprävention mitteilt. 209 Menschen (171 Männer und 38 Frauen) nahmen sich im Jahr 2022 in der Steiermark das Leben. Neun davon waren unter 20 Jahre alt.
Wiederholte Suizidversuche als Risikofaktor
Zugenommen hat auch die Zahl der Patienten, die wegen wiederholter suizidaler Gedanken ein weiteres Mal bzw. weitere Male aufgenommen werden mussten, schildert Böge. "Wir haben aktuell noch keine Zunahme an vollendeten Suiziden." Das Ziel müsse sein, einen solchen Anstieg zu verhindern.
Denn ein erster Suizidversuch ist einer der Hauptrisikofaktoren für einen späteren Suizid, warnt Plener. "Und wenn diese Zahl steigt, dann müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir Suizidprävention besser gestalten." Prävention sei bei Jugendlichen besonders wichtig, weil in diesem Alter häufig erstmals suizidale Gedanken auftauchen und sich gegebenenfalls auch manifestieren.
Fast 400 Betten zu wenig
Ein wichtiger Punkt in Bezug auf Prävention ist eine ausreichender, kassenfinanzierter Zugang zu kinder- und jugendpsychiatrisch-fachärztlicher, psychotherapeutischer und psychologischer Hilfe für alle betroffenen Minderjährigen. Und dieser ist aktuell nicht vorhanden. "Wir haben zu wenig stationäre Kapazitäten, was auch mit einem Fachkräftemangel ein Stück weit zu tun hat", sagte Plener. Österreichweit sind von etwa 800 Betten, die auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie laut Österreichischem Strukturplan Gesundheit verfügbar sein sollten, nur 432 vorhanden.
Weitere Forderungen der Fachleute sind, dass bauliche Maßnahmen zur Sicherung von bekannten Suizid-Hotspots getroffen werden sollten und Suizidmittel – etwa durch Packungsgrößen bei Medikamenten – nicht so leicht verfügbar gemacht werden. Ein weiterer Ansatz ist, die schulische Präventionsarbeit auszubauen. Als Beispiel nannte Plener das "Youth Aware of Mental Health"-Programm aus Schweden, wo in den Schulen über mentale Gesundheit gesprochen werde. Ein solches Programm sollte in ganz Österreich an Schulen angeboten werden.