Mit einer bipolaren Störung leben zu lernen: Seit ihrer Erstdiagnose im Jahr 2001 nimmt das einen großen Teil im Leben von Nicole ein. Bei ihr wurde damals die Bipolar-I-Störung diagnostiziert. Das heißt, sie hat ausgeprägte Manien und Depressionen. "Nach der Manie kommt die Erschöpfungsdepression, dann kommt man wieder raus und wird wieder manisch. Stabile Phasen habe ich sehr selten, es schwankt immer zwischen den Extremen", so die 40-Jährige im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.
Generell ist eine bipolare Erkrankung gekennzeichnet durch krankhafte Stimmungsschwankungen, erklärt Eva Reininghaus. Sie ist Leiterin der Forschungseinheit für bipolar-affektive Erkrankungen und Vorständin der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Med Uni Graz. "Bei den Betroffenen gibt es ganz normale Gemütszustände, aber eben auch Zustände, in denen eine Depression oder aber eine Manie beziehungsweise Hypomanie vorherrscht."
Der Unterschied zwischen Bipolar I und Bipolar II
Zu unterscheiden ist generell zwischen einer Bipolar-I- und Bipolar-II-Störung. "Um mit einer Bipolar-I-Erkrankung diagnostiziert zu werden, muss man ein Mal im Leben eine manische Episode gehabt haben. Eine solche Phase liegt vor, wenn man das Gefühl für die Realität verliert. Beispielsweise, wenn jemand eine Firma gründet und viel Geld darin investiert, ohne jegliche Erfahrung in dem Bereich vorzuweisen." Hinzu kommen klassische Anzeichen der Manie wie ein geringes Schlafbedürfnis, ein hohes Mitteilungsbedürfnis, Kontaktfreudigkeit, Selbstüberschätzung.
Eine Bipolar-II-Erkrankung äußert sich hingegen durch vergleichsweise weniger ausgeprägte Manien. "Da treten dann Hypomanien auf. Man hat zwar auch ein geringeres Schlafbedürfnis, ist kommunikativer, kann aber die Realität noch gut einschätzen." Daher werden Hypomanien häufig erst im Nachhinein bemerkt.
Zwischen Extremen: Leben mit einer bipolaren Störung
Bei Nicole ist es die Bipolar-I-Störung. Rückblickend erkennt Nicole, welch hohes Risikoverhalten sie in manischen Phasen in der Vergangenheit an den Tag gelegt hat: "Ich habe da wirklich viel Scheiße gebaut, bin zum Beispiel ohne Geld nach Italien gefahren und habe mich dadurch in problematische Situationen gebracht. Ich hatte da wirklich dieses Denken: 'Ich habe die Depression überstanden, mich kann nichts in die Knie zwingen.'"
Die schlimmste Phase einer Manie musste Nicole nach dem Tod ihrer Schwester erleben: "Sie war meine Schwester, beste Freundin und Mutterersatz. Als sie gestorben ist, hatte ich eine fünfmonatige Manie." In der Zeit häufte Nicole Schulden in Höhe von 10.000 Euro an. Finanziell trieb sie sich damit fast in den Ruin.
Was hinter "Rapid Cycling" steckt
Seit zwei Jahren äußert sich die Erkrankung von Nicole in einer anderen Verlaufsform. Mitte 2021, also zwanzig Jahre nach ihrer ersten Diagnose, wurde das sogenannte "Rapid Cycling" bei ihr diagnostiziert: "Alle vier bis sechs Wochen ändert sich mein Zustand. Das ist total zach, weil – kaum hat man sich auf einen Zustand eingestellt, kommt der nächste."
Von "Rapid Cycling" spricht man, wenn innerhalb eines Jahres mindestens vier Phasen aufgetreten sind, sagt Eva Reininghaus von der Med Uni Graz. "Es kann aber auch viel öfter sein, die Phasen treten sehr schnell hintereinander auf. Prinzipiell ist das aber nichts, was so bleiben muss." Es handelt sich um eine Verlaufsform, die in fortgeschritteneren Stadien der Krankheit auftreten kann.
Je mehr Phasen Betroffene gehabt haben, desto mehr verselbstständige sich die Krankheit, so die Expertin. "Oftmals wurden die Phasen dann nicht ausreichend behandelt. Aber es ist die Gelegenheit, noch mal zu reflektieren, ob es vielleicht eine andere oder stärkere Behandlung braucht." Nicole bemerkt allerdings auch positive Aspekte, die für sie mit "Rapid Cycling" einhergehen. Sowohl ihre Manien als auch Depressionen seien seitdem weniger ausgeprägt, erzählt sie. "Meine Amplituden sind flacher und die Spitzen sind weg. Enorm anstrengend ist es trotzdem."
Podcast "Crazy Turn – Ich bin bipolar"
Um über ihre Erkrankung aufzuklären und zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beizutragen, hat Nicole Ende 2021 gemeinsam mit einer Freundin den Podcast "Crazy Turn – Ich bin bipolar" ins Leben gerufen. Darin thematisiert sie ihre Krankheit offen. Neben ihren eigenen Erfahrungen ist es ihr aber auch wichtig, den Fokus auf Angehörige psychischer Erkrankungen zu legen: "Das ist für Familie und Freunde ja auch total anstrengend. Daher ist es superwichtig, dass diese sich auch selbst schützen." Aus dem Grund lässt Nicole in einigen Podcast-Folgen auch ihre eigenen Angehörigen zu Wort kommen: "Sie sind da schon hart mit mir ins Gericht gegangen und beschreiben meine Episoden ziemlich heftig."
Auf die Frage, wie es für sie war, das anzuhören, antwortet Nicole: "Es ist schwierig – weil ja, ich habe diese Krankheit, sie ist ein großer Teil von mir." Sie müsse sich damit auseinandersetzen, weil ihre Erkrankung immer präsent ist. Aber: "Ich bin nicht die Krankheit. Das ist aber auch so ein Bewusstsein, wo es radikale Akzeptanz zur Krankheit braucht, aber gleichzeitig auch die Differenzierung: 'Okay, das ist so, aber ich habe auch andere Seiten an mir.'"
Claire Herrmann