Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach sich in einem Interview mit dem ZDF dafür aus, Menschen, die an Long Covid oder dem Post-Vac-Syndrom leiden, mehr Unterstützung zukommen zu lassen. Sogleich sorgten seine Aussagen in sozialen Medien für einen Sturm, zahlreich impfkritische Stimmen sahen sich bestätigt, dass die Covid-Impfung ein gefährliches Präparat sei. Von 20.000 schweren Impfschäden habe der SPD-Politiker, der auch Mediziner ist, gesprochen. Von dort war es zum Wort "Skandal" nicht mehr weit.
Doch hat Lauterbach selbst von 20.000 schweren Impfschäden gesprochen? Und was ist ein schwerer Impfschaden überhaupt? Nun beginnen wir mit der ersten Frage. Nein, Lauterbach hat die 20.000 schweren Impfschäden nicht in den Mund genommen. Der Gesundheitsminister sagte Folgendes: "Schwere Impfschäden treten auf – auf der Grundlage der Daten des Paul-Ehrlich-Institutes oder der europäischen Zulassungsbehörde – in der Größenordnung von weniger als 1:10.000 Impfungen. Somit ist es nicht so, dass das so häufig ist."
Wie die Zahl 20.000 zustande kam
Wo kommen also diese 20.000 schweren Impfschäden her? Nun, in Deutschland wurden bis März 2023 rund 200 Millionen Dosen an Covid-Impfstoffen verabreicht – genau waren es 192 Millionen. Nimmt man die 200 Millionen und dividiert man diese durch 10.000, ergibt das diese 20.000 Impfschäden.
Laut offiziellen Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts wurden in Deutschland zwischen 27.12.2020 bis zum 31.10.2022 insgesamt 333.492 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und 50.833 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen gemeldet. Mit Stand 14. März 2023 ist dies die aktuellste Veröffentlichung des Nebenwirkungsberichts. Wichtig an dieser Stelle zu betonen ist: Nur weil eine Verdachtsmeldung eingeht, bedeutet das nicht, dass ein gesundheitlicher Vorfall mit der Covid-Impfung kausal in Zusammenhang steht. Laut einem Bericht der "Welt" am Sonntag von Ende Jänner 2023 wurden in Deutschland 253 Impfschäden anerkannt.
Was ist ein Impfschaden?
Doch was ist ein Impfschaden überhaupt? Hier werden oft die Begriffe vermischt. Eine Impfreaktion ist erwartbar, man kennt sie als Schmerzen an der Einstichstelle, Rötungen ebenda, Glieder- oder Kopfschmerzen oder auch Fieber. Doch Impfreaktionen sollten sich nach 48 Stunden wieder gelegt haben. Als schwerwiegende Nebenwirkungen oder auch Impfschäden in Folge einer Covid-Impfung werden vorwiegend Herzmuskelentzündung, Sinusvenenthrombosen und das Guillain-Barré-Syndrom, eine seltene Erkrankung der Nerven, anerkannt.
Besteht der Verdacht einer Nebenwirkung, sollte diese in Österreich beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitsweisen (BASG) gemeldet werden. In Österreich sind zwischen 27.12.2020 bis zum 31.12.2022 52.124 dieser Meldungen eingegangen – bei 20 Millionen verabreichten Dosen.
Ebenfalls bis Ende Dezember 2022 gab es 1851 Anträge auf Leistungen nach dem Impfschadengesetz. "Bislang erfolgten 88 Zuerkennungen (72 Pauschalentschädigungen, 16 Rentenzahlungen) und 204 Ablehnungen. Die Pauschalentschädigung betrug im Durchschnitt etwa 1800 Euro, an Rente gelangte ein durchschnittlicher mtl. Betrag von etwa 700 Euro zur Auszahlung", heißt es auf Nachfrage der Kleinen Zeitung aus dem Gesundheitsministerium.
Das Post-Vac-Syndrom
Aber auch das eingangs erwähnte Post-Vac-Syndrom kann eine Folge der Impfung sein. Dabei handelt es sich um einen Zustand, der Long Covid sehr ähnlich ist. Die Betroffenen sind etwa wenig belastbar, können teilweise ihren Alltag nicht mehr bestreiten. Es ist gut und wichtig, dass Lauterbach hier ein Programm aufsetzen möchte, dass Long Covid- bzw. Post-Vac-Geschädigte unterstützt. Denn in diesem Bereich ist bislang viel zu wenig geschehen.
"Wir müssen lernen, wie wir Long Covid und Post-Vac behandeln können", sagte Lauterbach ebenfalls in dem ZDF-Interview. Deutschland ist Österreich sogar um einen Schritt voraus, denn am Universitätsklinikum Marburg gibt es eine Post-Vac-Ambulanz, etwas Vergleichbares gibt es in Österreich nicht. Auch Anlaufstellen sowie Unterstützungsangebote für Long Covid-Betroffene sind Mangelware. Und wenn es etwa Spezialambulanzen gibt, dann gibt es wochen- bis monatelange Wartelisten für Termine.
Das Fazit
Dass es wirklich 20.000 schwere Impfschäden in Deutschland gibt, ist nicht erwiesen, diese Zahl beruht auf einer Berechnung, nicht auf tatsächlich ausgewerteten Fällen. Erwiesen ist aber, dass die Covid-Impfungen weiterhin sehr gut vor einer schweren Erkrankung und Tod schützen. „Wir haben diese Impfstoffe so oft verabreicht, dass wir sagen können, sie sind sicher und wirksam“, sagte Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien gegenüber der Kleinen Zeitung.
Nebenwirkungen, auch schwere, kommen vor, das aber sehr selten. Dies bestätigen nicht nur Zahlen aus Österreich und Deutschland, sondern auch internationale Erhebungen. Allerdings brauchen Menschen, die aufgrund einer Impfung oder einer Infektion (Long Covid) gesundheitliche Probleme erlitten haben, Unterstützung. So sollten etwa die Anträge auf Entschädigung rascher bearbeitet werden und die Menschen, die über diese Einschränkungen klagen, ernst genommen werden.