Obwohl Coronaimpfstoffe in der Pandemie zahlreiche Leben retten konnten, verbreiten impfkritische Stimmen weiterhin, dass die Impfung gefährlich sei. Aktuell wird etwa behauptet, dass eine neue Studie von Hunderttausenden Impftoten alleine in den USA ausgehe. Die besagte Untersuchung beinhaltet allerdings zahlreiche methodische Fehler und wird stark kritisiert.
Der Faktencheck im Detail
Die Publikation mit dem Namen "The role of social circle COVID-19 illness and vaccination experiences in COVID-19 vaccination decisions: an online survey of the United States population" wurde am 24. Jänner auf einem Portal von "BioMed Central (BMC)" veröffentlicht, wo sich auch zahlreiche andere peer-reviewte Studien finden.
Tatsächlich ist auch die angesprochene Studie peer-reviewt, was normalerweise ein Zeichen für Qualität und Aussagekraft darstellt. In diesem Fall verweist aber unter anderem ein gelb markierter Hinweis gleich unter dem Titel darauf, dass man bei der Interpretation der Studie sehr wohl vorsichtig sein sollte.
Der redaktionelle Hinweis, der am 26. Jänner ergänzt worden ist, mahnt: "Leserinnen und Leser sollten beachten, dass die Schlussfolgerungen dieser Studie Gegenstand von Kritik sind, die von der Redaktion überprüft werden. Insbesondere, dass die Behauptungen ohne Substanz sind und sich Fragen hinsichtlich der Qualität des Peer-Reviews stellen."
Das Studiendesign
Die Studie basiert auf einer Online-Befragung von 2840 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die zu ihren Erfahrungen mit Covid-Erkrankungen und Covid-Impfungen befragt worden sind. Dabei wurde unter anderem erhoben, wie viele Personen jemanden mit Gesundheitsschäden nach einer Covid-Erkrankung oder mit Gesundheitsproblemen nach einer Covid-Impfung kennen. Daraus schlussfolgert der Studienautor, dass sich Menschen, die jemanden mit Covid-Folgeschäden kennen, eher impfen lassen, während Personen, die jemanden mit Gesundheitsproblemen nach einer Covid-Impfung kennen, sich weniger impfen lassen.
Alleine diese Schlussfolgerung steht wissenschaftlich auf dünnem Eis, da die Einschätzung, was Folgeschäden einer Covid-Erkrankung sowie einer Covid-Impfung sind, hier alleine den befragten Personen obliegt. Gerade bei einer Impfung besteht die Gefahr, dass gesundheitliche Symptome in zeitlichem Abstand zur Impfung fälschlicherweise der Behandlung zugesprochen werden. Während eine Covid-Erkrankung tatsächlich zu zahlreichen gesundheitlichen Folgeschäden führen kann, sind vor allem schwere gesundheitliche Komplikationen durch eine Impfung vergleichsweise selten.
Doch der Studienautor belässt es nicht bei dieser Analyse, sondern will anhand der Angaben der Teilnehmer der Online-Umfrage auch einen Gesamtwert für Menschen in den USA berechnen, die durch eine Covid-Impfung gestorben sein könnten. Dabei geht er davon aus, dass er das Verhältnis der in der Umfrage gemeldeten mutmaßlichen Covid-Folgen zu den mutmaßlichen Impffolgen mithilfe von offiziellen Daten auf das gesamte Land ummünzen kann. Somit kommt er auch auf angeblich bis zu 278.000 mögliche Impftote.
Keine ärztlichen Diagnosen, methodische Fehler
Auch hier ist festzuhalten, dass die Angaben der partizipierenden Laieneinschätzungen sind und keine ärztlichen Diagnosen. Einen Zusammenhang zwischen einem Todesfall und einer Impfung festzustellen, bedarf gesundheitlicher Untersuchungen, die keinesfalls durch Angaben in einer anonymen Online-Umfrage zu ersetzen sind. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass die Antworten der Wahrheit entsprechen.
Darüber hinaus wurden in der Rechnung mehrere methodische Fehler begangen. Für die Berechnungen werden Zahlen aus der Datenbank Vaers der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC herangezogen. Dabei wurde nicht beachtet, dass die dort gemeldeten Nebenwirkungen und Todesfälle nur in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung stehen und keineswegs kausal sein müssen. Jede Person kann diese vermuteten Folgeschäden melden.
Darüber hinaus verlinkt die Studie gar nicht die Datenbank selbst als Quelle, sondern eine Webseite, wo die Vaers-Daten aufbereitet sind. Ein Hinweis, dass es sich um Verdachtsfälle in zeitlichem Abstand handelt, fehlt bei den gezeigten Grafiken. Nachfragen der Austria Presse Agentur zur Arbeitsweise ließ der Studienautor Mark Skidmore unbeantwortet. Der Wirtschaftsprofessor an der Michigan State University erklärte lediglich, dass er auf eine Entscheidung des Portals BMC warte.
Neben den oben erwähnten methodischen Schwächen werden auch noch andere Punkte an Skidmores Studie kritisiert. Der australische Epidemiologe Gideon Meyerowitz-Katz weist etwa darauf hin, dass in der Online-Umfrage gar nicht nach Todesfällen gefragt worden war, sondern die angeblichen Todesfälle aus einer Frage mit freier Antwortmöglichkeit stammte. In den Antwortbögen gebe es zudem Hinweise, dass auch mögliche Todesfälle durch Krebs, Diabetes oder Covid-19 als mutmaßliche Impftote eingestuft worden sind. Darüber hinaus würden mehrere Schritte bei der Kalkulation der Zahlen wenig Sinn ergeben.