Volle Lippen, eine große Oberweite, faltenfreies Gesicht – Schönheitsoperationen erleben einen neuen Boom, vor allem bei jungen Erwachsenen. "Es gibt viele Institute, die ausschließlich Botox und Hyaluron spritzen", weiß der plastische Chirurg Franz Maria Haas aus Graz. "Die Hauptklientel sind dabei 18- bis 25-jährige Frauen."

Nicht erst seit Kurzem versuchen Menschen, ihren Körper durch den Einsatz künstlicher Mittel visuell zu verändern. Seit den 90er-Jahren kommt Botox bereits im Zusammenhang mit ästhetischer Chirurgie zum Einsatz, der Ursprung des Mittels liege allerdings woanders, weiß der Experte. "Bevor Botox seinen Weg in die Schönheitsmedizin fand, wurde es bereits längere Zeit zur Behandlung spastischer Lähmungen genutzt. Auch bei Speiseröhrenverengungen, bei denen sich die Muskulatur verkrampft, kam es zum Einsatz", sagt Haas. Heutzutage wird Botox im medizinischen Bereich zusätzlich zur Behandlung von Migränepatienten angewandt, "da es zur Muskelentspannung führt", erklärt der Chirurg. Zähneknirschen kann ebenfalls durch das Einspritzen von Botox in die Kaumuskulatur behandelt werden.

Ein Eingriff am gesunden Körper

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Allein ein Zufall führte zur Erkenntnis, dass sich mit dem Mittel auch die Gesichtsmimik reduzieren lasse – der Beginn eines weltweiten Trends. Seit Ende der 90er-Jahre führt auch Haas ästhetische Eingriffe durch, sieht die sich verändernden Schönheitsideale allerdings kritisch. "Heutzutage stehen junge Menschen durch die sozialen Medien stark unter Druck, niemand sieht online aufgrund von Filtern so aus wie in echt, doch das zu akzeptieren und damit umzugehen, kann herausfordernd sein", sagt er. Die Patientinnen und Patienten, die seine Praxis aufsuchen, werden ebenfalls immer jünger, bemerkt er.

20 bis 30 Prozent der Behandlungswünsche lehnt der Chirurg inzwischen ab. "Oft schildern mir Leute ihre 'Makel' und ich kann es nicht sehen. Das kommuniziere ich auch so. Man muss sich bewusst sein, dass in der rein ästhetischen Medizin ausschließlich Menschen behandelt werden, die nicht krank sind. Dadurch ist es ein Hochrisikobereich, denn im Grunde sind es Eingriffe an gesunden Körpern", sagt Haas. Risiken, wie unter anderem Entzündungen, Verdickungen, Fremdkörperreaktionen nehmen die Patientinnen und Patienten in Kauf.

Verbesserte Lebensqualität

Zwar seien Patientinnen und Patienten inzwischen hoch sensibilisiert, trotzdem fehle vor allem jungen Menschen häufig das Bewusstsein für die Folgen eines jeden Eingriffes. "Spritzen junge Frauen über Jahre ihre Lippen mit Hyaluron auf, bilden sie sich, nachdem man damit aufhört, nie wieder ganz zurück. Auch wenn Jahre nichts mehr eingespritzt wurde, bleiben die Lippen schwammig." Im Fall von Brustimplantaten müsse sich der Körper ein Leben lang mit Fremdgewebe auseinandersetzen. "Und man kann damit rechnen, dass sie zumindest einmal erneuert werden müssen", so Haas.

Mit ästhetischer Chirurgie lasse sich das Leben vieler junger Menschen auch verbessern, weiß er. "Viele Mädchen haben starke Asymmetrien oder haben wenig bis gar keinen Busen. Sie wollen sich teilweise nicht einmal vor ihren engsten Vertrauten ausziehen und sind dadurch psychisch belastet. Für diese Menschen kann man wirklich viel tun und ihnen zu mehr Lebensqualität verhelfen", so Haas.

Eingriffe haben Suchtcharakter

Das Streben nach einem Schönheitsideal, das fast ausschließlich im digitalen Raum existiert, beeinflusst die Selbstwahrnehmung, sagt Haas. "Wenn sich junge Menschen operieren lassen wollen, hat das immer einen psychologischen Hintergrund, auch wenn den Körpern nichts fehlt." Frauen, die mit einem schönen B-Körbchen zu ihm gekommen seien, habe er bereits weggeschickt, erzählt Haas von seinen Erfahrungen. Schönheitsbehandlungen können einen Suchtcharakter aufweisen, sagt er. "Wenn ein 'Makel' behoben ist, dauert es nicht lange, bis der nächste gefunden ist, es ist ein ewiger Kreislauf." Sich immer wieder verändernde Schönheitsideale, die durch Medien und Influencer forciert werden, befeuern diese Entwicklungen zusätzlich.

Mit der richtigen Anwendung könne der Alterungsprozess dennoch durch kleinere Behandlungen verlangsamt werden, so der Experte. "Wenn man zwischen 30 und 35 Jahren beginnt, lässt sich schnelle Faltenbildung durchaus vorbeugen. Das funktioniert allerdings nur bis zu einem gewissen Lebensalter, danach ist die Haut zu dünn, das Gewebe senkt sich und Fettgewebe wird abgebaut." Neben klassischem Botox und Hyaluron empfiehlt Haas zudem vermehrt körpereigene Substanzen wie Fett und Plasma. "Dadurch kann man auf verträgliche Weise im Anti-Aging aktiv sein." Individuelle Behandlung sei der Schlüssel, so Haas. "Arbeitet man mimikorientiert, geht die Dynamik im Gesicht auch nicht verloren."