"Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit SARS-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei", sagte der Leiter der Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité dem "Tagesspiegel". Die Immunität in der Bevölkerung werde nach diesem Winter so breit und belastbar sein, dass das Virus im Sommer kaum noch durchkommen könne, zitierte ihn die dpa am Montag. Als einzige Einschränkung nannte Drosten einen weiteren Mutationssprung. "Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr."
Die Virologin Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck schloss sich der Ansicht von Drosten an, dass die Pandemie vorbei ist. Corona habe sich "ausgeschlichen" und nun eingereiht in die sonstige Reihe an Erkältungskrankheiten oder Virusinfektionen wie etwa die Grippe, erklärte Von Laer gegenüber der APA. Covid-19 werde ebenso wie diese bleiben. Auch die Innsbrucker Virologin führte die mittlerweile vorhandene breite Grundimmunität in der Bevölkerung an, die dazu führe, dass weitaus weniger Menschen erkranken und wenn sie erkranken, dann nicht mehr so schwer wie in früheren Zeiten.
Auch der österreichische Genetiker Ulrich Elling kann der Aussage des deutschen Virologen Christian Drosten beipflichten, dass nun die erste endemische Welle mit SARS-CoV-2 im Rollen ist. "Die Pandemie in dem Sinne" sei damit vorbei, Covid-19 aber "gekommen, um zu bleiben", so Elling. Wenn man "Pandemie" so definiert, dass ein neuer Erreger auf eine immunologisch unvorbereitete Bevölkerung trifft, dann sei diese Phase der Auseinandersetzung mit dem SARS-CoV-2-Erreger tatsächlich mehr oder weniger abgeschlossen, so der am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätige Forscher im Gespräch mit der APA. Wenn Drosten jetzt von Endemie spricht, treffe das zu, da sich nun eben zum allergrößten Teil Menschen mit Covid-19 infizieren, die dem Erreger schon ausgesetzt waren.
Nachdem in Österreich die Omikron-Variante seit rund einem Jahr für eine breite Durchseuchung sorgt und vor relativ kurzer Zeit die BA.5-Untervariante eine Welle mit rund zwei Millionen Infizierten und somit kürzlich erst Genesenen verursacht hat, "haben die Leute jetzt eine breite immunologische Basis aufgebaut", sagte Elling: Damit habe man es aktuell mit einer "endemischen Welle" zu tun. Am ehesten finde man noch in den höheren Alterskohorten Menschen, die wirklich noch keine Covid-Infektion durchgemacht haben. Dazu komme, dass der Schutz vor Neuansteckung nach Infektion länger anhalte als ursprünglich vermutet.
"Nachwehen der Pandemie"
Allerdings sehe man nun die starken "Nachwehen der Pandemie", mit vielen RS-Viren- und Influenza-Infekten. Dazu komme eine gewisse "Erosion im Gesundheitssystem", wo das vielfach durch die Pandemie ausgelaugte und ausgedünnte Personal wieder mit einer sehr hohen Belastung konfrontiert ist, und etwa gerade im Kinderbereich Ressourcen fehlen. In vielen Zusammenhängen würden nun strukturelle Probleme durch Einsparungen im Gesundheitsbereich deutlicher greifbar.
Mit SARS-CoV-2 habe man nun ein neues Virus sozusagen im Portfolio der gängigen Krankheitserreger, "das bleiben wird", betonte Elling. Wie oft sich Menschen damit aber längerfristig im Schnitt tatsächlich anstecken können, lasse sich noch kaum abschätzen.
Das hängt auch von der weiteren Wandelbarkeit des Erregers ab. Der Forscher ist seit langem Teil des Teams, das die weiter hurtige Erbgutentwicklung des Virus wissenschaftlich analysiert. Damit es in der aktuellen Situation wieder zu systemkritischen Überlastungen durch SARS-CoV-2 kommt, müsste sich eine "komplett verrückte Kombination" entwickeln. Einen solchen "Gamechanger", der auch die "Krankheitsschwere" wieder deutliche erhöht, sieht Elling momentan nicht am Horizont, und hält er auch für immer unwahrscheinlicher.
Die Möglichkeit bleibe aber als "Dark Horse" trotzdem durchaus weiter erhalten. Dementsprechend plädiert der Genetiker auch dafür, weiter einen wissenschaftlichen Überblick über die Variantenentwicklung zu wahren. Das sei im Vergleich zu vielen anderen Maßnahmen während der Pandemie auch wirklich nicht teuer, so der Wissenschafter.
Epidemiologin Eva Schernhammer, Mitglied der österreichischen Gecko-Kommission, stellte bereits vor fünf Tagen fest, dass wir uns einer endemischen Phase nähern könnten. Derzeit sprächen die vorliegenden Indikatoren dafür. "Wenn das Auftreten von SARS-CoV-2-Infektionen relativ gleich bleibt oder vorhersehbar wird, so wie dies etwa bei der Influenza der Fall ist, da ihr wellenförmiges saisonales Auftreten relativ gut antizipierbar ist."
Weltweit höhere Krankheitslast
Die Gecko hielt in diesem Zusammenhang aber fest, dass Corona auch bei einem endemischen Zustand Probleme bereiten wird, alleine dadurch, dass es weltweit eine höhere Krankheitslast geben werde. Dazu werde "Long Covid" das allgemeine Wohlbefinden und die Fähigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, beeinträchtigen und die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Wenn eine Erkrankung endemisch werde, bedeute das jedoch nicht unbedingt auch eine positive Entwicklung, warnte Schernhammer: "So ist beispielsweise Malaria in gewissen Breitengraden endemisch. Das macht Malaria jedoch nicht ungefährlicher."
Derzeit sind laut AGES-Update 45.826 Menschen in Österreich mit Corona infiziert. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Österreich liegt aktuell bei 333,6 Infektionen pro 100.000 Einwohnern, am Vortag waren es noch 366,5. Am Montag kamen 2.231 neue Infektionen hinzu. Das liegt weit unter dem Schnitt der vergangenen sieben Tage mit 4.302 neuen Fällen. Im Spital lagen mit Stand heute Vormittag 1.150 Infizierte, was ein Minus von 16 im Vergleich zum Vortag bedeutet. Davon befinden sich 52 auf der Intensivstation, das sind um elf weniger als gestern. Am Montag wurden drei Todesfälle gemeldet. Damit stieg die Zahl der Corona-Toten in Österreich auf insgesamt 21.376.