Erst vor Kurzem wurde in einer groß angelegten klinischen Studie erstmals belegt, dass man mit einem monoklonalen Antikörper (Lecanemab) bei Alzheimer-Patienten das Fortschreiten der Erkrankung um 27 Prozent verzögern kann - wir haben hier darüber berichtet. Berliner Neurologie-Wissenschafterinnen und -Wissenschafter sind auf einem anderen Weg aktiv. Sie haben nach einer Zufallsbeobachtung ein Hirnareal bei Alzheimer-Patienten identifiziert, das offenbar auf eine elektrische Stimulation anspricht.
Bei dem Verfahren geht es um Tiefe Hirnstimulation (THS). Dabei handelt es sich um eine Therapieform, die bereits seit Längerem zur Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Erkrankung sowie für neuropsychiatrische Erkrankungen zugelassen ist. Im Gehirn der Betroffenen werden dafür feine Elektroden implantiert, die ständig schwache, kurze elektrische Impulse an die jeweiligen Hirnregionen abgeben. Die Elektroden bleiben im Gehirn und sind über Kabel, die unter der Haut verlaufen, an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen. Über ihn können Stromstärke und Frequenz angepasst werden. Gute Behandlungserfolge sind vor allem bei Morbus Parkinson belegt.
Geeignete Zielregion im Hirn muss gefunden werden
Andreas Horn von der Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie der Berliner Universitätsklinik Charité und ein internationales Wissenschaftsteam wollen die Alzheimer-Demenz zu einem Anwendungsgebiet dieser "Elektro-Therapie" machen. Der Experte: "Die THS wirkt bei Parkinson sehr gut, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert sich signifikant." Morbus Alzheimer gehöre wie der Morbus Parkinson zu den neurodegenerativen Erkrankungen, eine mögliche therapeutische Anwendung der THS wäre daher naheliegend. Für eine sichere und wirksame Therapie muss aber eine geeignete Zielregion im Gehirn identifiziert werden, über deren Stimulierung ein positiver Effekt ausgelöst wird.
Ausgangspunkt einer aktuellen Studie, die am Mittwoch in "Nature Communications" erschienen ist, war eine Beobachtung von Kooperationspartnern an der Universität von Toronto in Kanada, teilte die Charité mit. "Die Tiefe Hirnstimulation löste bei einem Patienten, der aufgrund einer Adipositas behandelt wurde, Flashbacks - also plötzliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend - aus", erklärt Ana Sofia Rios von der Berliner Universitätsklinik. "Da lag die Vermutung nahe, dass sich die stimulierte Hirnregion, die sich im Bereich des sogenannten Fornix befand, womöglich auch für eine Behandlung von Morbus Alzheimer eignen könnte." Der sogenannte Fornix ist eine in beiden Gehirnhälften angelegte Struktur im Limbischen System des Gehirns. Dieses Nervenzell-Fasergewebe spielt eine Rolle beim Umsetzen von Inhalten des Kurz- in das Langzeitgedächtnis und somit in Lernprozessen.
Jedes Gehirn ist anders
Um der Beobachtung bei dem Adipositas-Patienten nachzugehen, implantierten Forschende an sieben internationalen Zentren im Rahmen einer weiteren multizentrischen Studie bei an leichter Alzheimer-Demenz erkrankten Patienten Elektroden im Bereich des Fornix. "Bei den meisten Patientinnen und Patienten zeigte sich leider keine Verbesserung. Doch einige wenige Studienteilnehmer profitierten deutlich von der Behandlung", so Ana Sofia Rios. "Wir wollten herausfinden, wie dieser Unterschied zustande kam und verglichen dafür die genaue Position der Elektroden zwischen den Studienteilnehmern."
Horn und sein Team haben sich darauf spezialisiert, Bilder des Gehirns in hoher Auflösung, die mithilfe der Kernspintomographie aufgenommen werden, zu analysieren und in Kombination mit Computermodellen die optimalen Stimulationspunkte für eine THS im Gehirn präzise aufzuspüren. "Eine besondere Herausforderung dabei ist: Jedes Gehirn ist anders. Und das spielt bei der Implantierung der Elektroden eine große Rolle", so der Experte. "Liegt man nur wenige Millimeter daneben, bleibt der erwartete Effekt unter Umständen aus."
Weitere klinische Studien notwendig
Auch bei einem Großteil der 46 Studienteilnehmer mit Morbus Alzheimer war das der Fall. Allerdings konnte die Zielstruktur für die Elektroden bei den Patienten, bei denen die THS eine positive Wirkung zeigte, genau bestimmt werden. "Sie liegt an einer Zweigstelle zwischen zwei Nervenfaserbündeln - dem Fornix und der Stria terminalis -, die tiefgelegene Hirnregionen miteinander verbinden. Beide Strukturen werden mit der Gedächtnisfunktion in Verbindung gebracht", erklärte der Neurowissenschaftler.
Bis eine THS für die Behandlung von Morbus Alzheimer zugelassen und eingesetzt werden kann, sind noch weiterführende klinische Studien nötig. Aber mit den Daten für die punktgenaue Implantation der Elektrode ist eine Grundlage für weitere klinische Studien vorhanden.
Medikamente haben schwache Wirkung
Weltweit litten 2019 rund 55 Millionen Menschen an Demenzerkrankungen, die meisten davon an Morbus Alzheimer. Die Zahlen steigen aufgrund der Altersentwicklung ständig. Die Kosten aufgrund solcher Erkrankungen wurden mit mehr als 800 Milliarden Euro pro Jahr berechnet. Bisher bei Morbus Alzheimer verwendete Medikamente, zum Beispiel die sogenannten Cholinesterasehemmer, haben nur eine relativ schwache Wirkung auf die Symptome.
Ursächliche Therapien zielen auf die Beseitigung schädlicher Ablagerungen der Proteine Beta-Amyloid oder Tau ab. Viele solcher Projekte sind aber bisher fehlgeschlagen. Das führte in der jüngeren Vergangenheit auch zu erheblichen Zweifeln daran, dass Beta-Amyloid- oder die Tau-Proteine wirklich ursächlich etwas mit der Alzheimer-Demenz zu tun haben.