Fast die Hälfte der Bevölkerung, also 47 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, weiß nicht, dass es Medikamente zur Verhinderung eines schweren Covid-19-Verlaufs gibt. Das Institut MindTake hatte im August zudem eine Umfrage im Auftrag der Lungenunion zu Covid-Risikofaktoren und Medikamenten durchgeführt. Nur knapp elf Prozent der 827 Befragten ab 30 Jahren gaben ein höheres Alter als Risiko für einen schweren Verlauf an, berichtet Lungenfacharzt Arschang Valipour. "Dabei ist das einer der wichtigsten Risikofaktoren", betonte der an der Wiener Klinik Floridsdorf tätige Mediziner.
Die Bevölkerung sei allgemein "unsicher bei der Einschätzung der Risikogruppen", so Valipour. Mit einer Kampagne rät der Selbsthilfeverein Lungenunion nun nach einem positiven Test zum sofortigen Anruf bei Arzt oder Ärztin. Außerhalb Wiens gibt es weiter Aufholbedarf bei der Verschreibung.
Medikamente gut wirksam und "hervorragend verträglich"
Auch Krebserkrankungen, Asthma bronchiale und Autoimmunerkrankungen werden laut der Umfrage als Einflussgröße für schwere Covid-Erkrankungen unterschätzt. Zudem gebe es eine nicht unbeträchtliche Zahl an Betroffenen in den Risikogruppen, die an Übergewicht, Bluthochdruck, chronischen Lungenerkrankungen oder Diabetes haben oder Raucher sind, sagt der Facharzt. Die aktuell milderen Verläufe sind nicht nur der Omikron-Variante geschuldet, sondern auch der Impfung, betont er.
"Die Impfung ist das erste Bollwerk", berichtet auch der Infektiologe Florian Thalhammer. Zusätzlich zeigen die Covid-19-Medikamente "eine deutliche Reduktion der Sterblichkeit", je früher sie eingenommen werden, desto besser wirken sie. Die Kapsel Lagevrio mit dem Wirkstoff Molnupiravir und die Paxlovid-Tabletten mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir und Ritonavir seien zwar beide mit Einschränkungen einsetzbar, aber beide rezeptierbar, gut wirksam und "hervorragend verträglich", versicherte der Präsident der Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).
Nur ein Fünftel der verfügbaren Medikamente verschrieben
240.000 Therapiezyklen der beiden Medikamente wurden bislang nach Österreich geliefert. Davon wurde allerdings nur knapp ein Fünftel tatsächlich an Patienten verschrieben – vor allem in Wien und Niederösterreich mit 69 beziehungsweise elf Prozent wurde das Medikament bislang eingesetzt. Alle anderen Bundesländer rangieren im unteren einstelligen Bereich. Katharina Reich, Chief Medical Officer im Gesundheitsministerium, bestätigte im ORF-Radio "Ö1", dass es "Luft nach oben" gebe und "weitere Aufklärungsarbeit betrieben werden" müsse.
Die Kampagne "Covid-19 positiv: Nicht warten, Anruf schnell starten!" für mehr Aufmerksamkeit auf die antiviralen Medikamente läuft bis März 2023, berichtete Lungenunion-Sprecherin Gundula Koblmiller. Die Sujets sind auf Straßenbahnen in Wien, Bussen in den Bundesländern und in Printmedien zu sehen, außerdem werden Informationsfolder in Arztpraxen aufgelegt. Die Mediziner Valipour und Thalhammer raten unterdessen weiterhin zur dreiteiligen Grundimmunisierung, der Schutzimpfung und der Auffrischung danach.
Keine Wiedereinführung der Maskenpflicht geplant
Die derzeitige Herbst-Welle schlägt sich immer mehr in den heimischen Spitälern nieder. Am Dienstag mussten insgesamt 1863 Infizierte in österreichischen Spitälern behandelt werden, um 166 mehr als am Montag. Das war der höchste Wert seit einem halben Jahr. Laut der aktuellen Corona-Prognose "ist von einem weiteren deutlichen Anstieg im Normalpflegebelag" auszugehen. "Die Zahlen steigen dramatisch an", sagte Valipour bei der Pressekonferenz. "Und wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen."
Eine Wiedereinführung der Maskenpflicht schloss Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) unterdessen vorerst aus. Dazu werde es erst kommen, wenn die Situation in den Krankenhäusern "eskaliert, bedrohlich wird, ein Notstand eintritt", sagte er am Dienstagabend im "ZiB 2"-Interview. Diese Aussage präzisierte er am Mittwoch vor dem Ministerrat. Er sei im ständigen Austausch mit den Experten, "wenn von dort der intensive Hinweis kommt, jetzt reagieren zu müssen, werden wir das tun", versicherte Rauch. Als im Frühjahr die Maskenpflicht im Lebensmitteleinzelhandel und in den Öffis abgeschafft wurde, habe er bereits betont, dass sie im Herbst bei Notwendigkeit wieder eingeführt werden könne. Das werde auch laufend in der Corona-Kommission und in der Gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination Gecko beraten, meinte Rauch.
Kritik an Rauch
Die Aussagen des Gesundheitsministers treffen auf Kritik. "Abgesehen davon, wie egal #LongCovid und andere Langzeitfolgen sind – unfassbar, wie wenig es die Verantwortlichen berührt, dass #MedizinBrennt", twitterte der Internist Wolfgang Hagen von der Klinik Hietzing zur ursprünglichen Aussage des Gesundheitsministers. Mehrere Experten hatten sich angesichts der hohen Infektionszahlen bereits wieder für die Maskenpflicht ausgesprochen.