Alljährlich beginnt mit der Bekanntgabe der Auszeichnung für Physiologie bzw. Medizin am Montag in Stockholm der Reigen der Nobelpreis-Woche. Und die Entscheidung des Nobelpreis-Komittees ist im dritten Jahr der Pandemie doch eine Überraschung. Der Preis geht an den schwedischen Biologen und Evolutionsforscher Svante Pääbo. Ausgezeichnet wurde Pääbo "für seine Entdeckungen über die Genome der Vorfahren des modernen Menschen und die menschliche Evolution", hieß es in der Begründung. Ihm war etwa die Sequenzierung des Genoms des Neandertalers gelungen. Zudem konnte er eine weitere Gattung unserer Vorfahren identifizieren, den Denisova-Menschen. Pääbos Vater, Sune Bergström, hat 1982 ebenfalls den Medizin-Nobelpreis erhalten.

Pääbo gilt als einer der Vorreiter der sogenannten Paläogenetik. Er habe es geschafft, diese uralte DNA der Hominiden zu isolieren und dann zu analysieren. Das alleine ist schon keine leichte Aufgabe, denn die Knochen von Neandertalern sind nach Jahrtausenden im Boden von Bakterien und Pilzen derart stark besiedelt, dass bis zu 99,9 Prozent der darin gefundenen DNA von Mikroben stammt. Doch auch wenn die Arbeit kleinteilig ist, hinter Pääbos Forschung stehe die Frage: "Was unterscheidet uns als Homo sapiens von unseren Vorfahren? Was macht uns einzigartig?", erklärte das Komitee in der Begründung.

Die Reaktion des Preisträgers

Durch seine Forschung, die einem Puzzle mit unendlich vielen Teilen gleichen kann, gelang Pääbo etwas, was andere Fachleute als unmöglich beschrieben – eben die Sequenzierung des Genoms des Neandertalers. Und dieses Genom hat auch 2022 noch Bedeutung. "Wichtig ist außerdem, dass Pääbo herausfand, dass nach der Auswanderung aus Afrika vor etwa 70.000 Jahren ein Gentransfer von diesen inzwischen ausgestorbenen menschlichen Vorfahren auf den Homo sapiens stattgefunden hat. Dieser uralte Genfluss zum heutigen Menschen hat auch aktuell physiologische Relevanz und wirkt sich beispielsweise darauf aus, wie unser Immunsystem auf Infektionen reagiert", begründete das Nobelpreis-Komitee seine Entscheidung.

Thomas Perlman, Vorsitzender des medizinischen Komitees, sagt über Pääbos Reaktion auf seine Auszeichnung: "Er war überwältigt, sprachlos und sehr glücklich. Er hat mich gefragt, ob er es seiner Frau erzählen darf." Der Anruf hat Pääbo in Leipzig erreicht, wo er als einer von fünf Direktoren am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sowie an der Universität Leipzig tätig ist. 

Der Pate der alten DNA-Forschung

Die Entscheidung wurde etwa auch von Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien am Montag positiv aufgenommen. "Svante Pääbo ist der 'Godfather' der alten DNA für uns", sagte der Forscher gegenüber der Austria Presse Agentur. Pääbo habe das Forschungsfeld zu dem gemacht, was es heute sei. "Als Alte-DNA-Forscher kann ich an keine passendere Person denken, die das Feld repräsentiert." Pääbo sei ein "herausragender Forscher" und trotz seines Status nahbar, erklärte Pinhasi. Pääbo habe über viele Jahrzehnte an seiner Vision gearbeitet, die auch heute mehr als relevant sei. 

Die Erkenntnisse über das genetischer Erbe der Vorfahren des modernen Menschen würden heute intensiv genutzt. So zeigte Pääbo auch, dass gewisse Neandertaler-Gene eher schützend im Zusammenhang mit Covid-19- und HIV-Infektionen wirken. "Das zeigt den Wert dieser Genome", betonte Pinhasi. Als Wissenschafter sei Pääbo ohne "Sensationslust" und mit einer großen "Ernsthaftigkeit" an die Sache herangegangen. Zunächst lag der Fokus auf der Extraktion und Entschlüsselung des Genoms selbst, in der Folge leitete man die evolutionären Begebenheiten ab, die die neuen Entdeckungen erlaubten. Pääbo habe nicht nur das Erbgut aufgearbeitet, sondern es "auch auf ein Level gebracht, dass man es nutzen und vergleichen kann. Das ist es, warum er meiner Meinung nach den Preis bekommen hat", sagte Pinhasi.

Leer ausgegangen

Wie auch 2021 gingen die Gründer von Biontech, Özlem Türeci und Uğur Şahin, leer aus. Sie wurden ebenso als Favoriten gehandelt, wie auch Katalin Karikó. Die Ungarin, die eben auch für Biontech arbeitet, gilt als eine der Wegbereiterinnen der mRNA-Technologie, die sie ursprünglich für die Krebstherapie entwickelt hat.

Im Vorjahr waren der US-Forscher David Julius und der im Libanon geborene Molekularbiologe Ardem Patapoutian geehrt worden. Prämiert wurden sie für ihre Entdeckungen der menschlichen Rezeptoren für Temperatur- und Berührungsempfinden.

Der restliche Nobelpreis-Kalender

Am Dienstag erfolgt die Verkündung der Preisträgerinnen oder Preisträger für Physik- und am Mittwoch jene für Chemie. Nach den Wissenschaftspreisen wird wie gewohnt am Donnerstag der Literatur-Nobelpreis vergeben, am Freitag folgt der Friedensnobelpreis. Den Abschluss bildet am kommenden Montag die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften.