„Die Pandemie ist vorbei“, sagte US-Präsident Joe Biden dieser Tage in einem Interview. Fachleute hingegen warnen aktuell vor der nächsten Herbstwelle, auch in Österreich ist die Tendenz in Bezug auf die Neuinfektionen steigend. Doch was stimmt nun? Ist die Pandemie zu Ende? Und was ist für den Herbst bzw. die kommenden Monate von Sars-CoV-2 zu erwarten?

Der Unterschied zu den ersten beiden Pandemieherbsten liege im Immunitätsstatus der österreichischen Bevölkerung, erklärt Dorothee von Laer, Virologin an der Medizinischen Universität Innsbruck. „Wir hatten so viele Infektionen, auch in den älteren Altersgruppen, dass ich davon ausgehe, dass sich ein substanzieller Teil von den Ungeimpften mittlerweile infiziert hat.“ Zudem haben zahlreiche Genesene auch einen Impfschutz. Diese Hybridimmunität, die auf dem Kontakt des Immunsystems mit unterschiedlichen Varianten basiert, generiert eine sehr breite Immunantwort, sagt von Laer.

Jedoch gibt es einige neue, noch nicht weitverbreitete Varianten, etwa BA.2.75.2 oder BJ.1. Auch von BA.5 haben sich einige Untervarianten gebildet. Sie alle scheinen genau diese Immunantwort zu umgehen – wenn sich die Labordaten, die es dazu bislang verfügbar gibt, bestätigen. „Die Immunantwort zu umgehen“ bedeutet in diesen Fällen, dass der Schutz vor Infektion, vor Erkrankung weiter schwindet. Geschützt ist man weiterhin gut vor schweren Verläufen, Hospitalisierung und Tod. „Wir sehen immer öfter eine Evolution der kleinen Schritte“, sagt Ulrich Elling, Molekularbiologe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die unterschiedlichen Varianten mutieren in kleinen Schritten, aber in relativ kurzen, zeitlichen Abständen und häufen zumeist einen Wachstumsvorteil an. Ob diese Varianten in Bezug auf klinische Verläufe auch kränker machen, könne aktuell noch nicht gesagt werden, so Elling. Um das beurteilen zu können, braucht es mehr Daten.

Die Zahlen werden steigen

Was bedeutet diese breite Immunantwort nun in Verbindung mit den neuen Varianten für den pandemischen Herbst in Österreich? Die Zahlen werden steigen, eine Herbstwelle wird sich aufbauen. Darin sind sich von Laer wie auch Elling einig. Das hat auch mit dem saisonalen Effekt zu tun. Vereinfacht gesagt: In der kälteren Jahreszeit halten wir uns vermehrt in Innenräumen auf, haben engeren Kontakt untereinander und somit steigt das Infektionsrisiko. Zu sehen ist das zum einen punktuell an den Neuinfektionen am Dienstag, die mit 5937 den zweithöchsten Wert seit 30 Tagen bedeuten. Und allgemeiner: Die Inzidenz steigt seit dem 13. September täglich und liegt aktuell bei 410,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.

„Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir im Herbst eine weitere Welle sehen werden, wir werden wieder mehr Infektionen sehen“, sagt von Laer. „Meiner Ansicht nach wird es aber bei dieser Immunitätslage keine bedrohliche Lage in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen geben.“ Das sieht Elling ähnlich. „Unser Problem wird sein, dass es sehr viele Infizierte und Erkrankte geben wird, weil eben der Schutz vor Infektion immer geringer wird. Und damit wird es zu Ausfällen in Betrieben kommen.“ Getrieben wird die Welle demnach noch von BA.5 und ihren Subvarianten. „Parallel dazu werden wohl auch die neuen Linien Raum greifen“, so Elling. Die Pandemie dürfte sich also insofern wandeln, als künftig nicht eine Variante die Vorherrschaft haben wird, sondern, dass mehrere nebeneinander für Infektionen sorgen werden.

Das eigene Covid-Risiko kennen

So Sars-CoV-2 im Herbst nicht eine weitere Überraschung parat hält, ist von Laer der Ansicht, dass als eine der wenigen Maßnahmen eine Maskenpflicht in Innenräumen wiederkehren wird. „Wenn es überhaupt noch einschneidende Maßnahmen geben sollte, dann wohl nur, wenn die Intensivstationen wieder voll sind“, fügt Elling hinzu.

Somit verschiebt sich das Pandemiemanagement immer mehr in den persönlichen Bereich. Aus diesem Grund ist es wichtig, sein eigenes Risiko bei Covid-19 zu kennen und sich dementsprechend zu verhalten. Habe ich Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas? Ist mein Immunsystem voll arbeitsfähig oder ist es aufgrund einer Krebsbehandlung unterdrückt? Wie lange liegt meine letzte Impfung bzw. eine Infektion zurück, wann sollte ich mir eine Auffrischung holen? Wichtig ist zudem, sich Gedanken über eine Grippe-Impfung zu machen. Da die letzten beiden Jahre in Bezug auf die Influenza moderat ausgefallen sind, gibt es einen gewissen Nachholbedarf. „Wir haben immer wieder Doppelinfektionen von Covid-19 und Influenza gesehen, die zum Teil sehr schwer sind“, sagt von Laer. „Das ist gerade für ältere Patienten eine bedrohliche Situation.“

Bleibt am Ende die Frage vom Beginn zu beantworten, ob die Pandemie vorbei ist. „Nein, das ist sie nicht“, sagt Elling. „Auch wenn es keiner mehr hören möchte.“