Schon bald, nachdem die Coronapandemie ausgebrochen war, tauchten die ersten Meldungen zum sogenannten Long-Covid- bzw. Post-Covid-Syndrom auf. Davon spricht man, wenn vier Wochen nach Abklingen einer Coronaerkrankung noch immer Symptome bestehen oder solche wiederkommen. Wie lange diese bestehen bleiben können, ist noch unklar. Wie viele Österreicherinnen und Österreicher betroffen sind, ist schwer zu sagen. Es könnte eine hohe Dunkelziffer geben.
Die Symptome der Betroffenen sind vielfältig. Besonders leiden vor allem jene Personen, die chronische Erschöpfungszustände aufweisen, welche es oft unmöglich machen, einen normalen Alltag zu führen. Da die Symptomatik bei vielen Betroffenen jener des Chronischen Fatigue-Syndrom ähnlich ist oder sogar gleicht, wird schon länger vermutet, dass eine Coronainfektion ME/CFS auslösen kann (Definition siehe Infokasten).
Eine Forschungsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) zeigt jetzt in einer gut kontrollierten Studie, dass ein Teil der Covid-19-Erkrankten auch nach mildem Verlauf tatsächlich das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung entwickelt. Zudem beschreiben die Forschenden eine zweite Gruppe von Post-Covid-Betroffenen mit ähnlichen Symptomen. Unterschiedliche Laborwerte weisen auf möglicherweise verschiedene Entstehungsmechanismen der beiden Krankheitsbilder hin. Die Studienergebnisse sind im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
"Diese Annahme wissenschaftlich zu belegen, ist jedoch nicht trivial", erklärt Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie am Charité Campus Virchow-Klinikum. "Durch eine sehr gründliche Diagnostik und einen umfassenden Vergleich mit ME/CFS-Betroffenen, die nach anderen Infektionen erkrankt waren, konnten wir jetzt aber nachweisen, dass ME/CFS durch Covid-19 ausgelöst werden kann."
So lief die Studie ab
Für die Studie untersuchten Expertinnen und Experten 42 Personen, die sich mindestens sechs Monate nach ihrer Sars-CoV-2-Infektion an das Charité Fatigue Centrum gewandt hatten, weil sie noch immer stark an einer krankhaften Erschöpfung, und eingeschränkter Belastungsfähigkeit in ihrem Alltag litten. Die meisten von ihnen konnten lediglich zwei bis vier Stunden am Tag einer leichten Beschäftigung nachgehen, einige waren arbeitsunfähig und konnten sich kaum noch selbst versorgen. Während der akuten Sars-CoV-2-Infektion hatten nur drei der 42 Betroffenen ein Krankenhaus aufgesucht, aber keine Sauerstoffgabe benötigt. 32 von ihnen hatten keine Lungenentzündung entwickelt, in der Regel jedoch ein bis zwei Wochen lang starke Krankheitssymptome wie Fieber, Husten, Muskel- und Gliederschmerzen empfunden.
Da die Infektion in der ersten Welle der Pandemie stattgefunden hatte, war keine der in die Studie eingeschlossenen Personen zuvor geimpft gewesen. Zum Vergleich zogen die Forschenden 19 Personen mit ähnlichem Alters- und Geschlechtsprofil sowie einer vergleichbaren Krankheitsdauer heran, die ME/CFS nach einer anderen Infektion entwickelt hatten.
Den festgelegten Kriterien zufolge erfüllten knapp die Hälfte der untersuchten Patientinnen und Patienten nach ihrer Coronainfektionen das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung. Die andere Hälfte hatte vergleichbare Symptome, ihre Beschwerden nach körperlicher Anstrengung, waren jedoch meist nicht so stark ausgeprägt und hielten nur für einige Stunden an. Dagegen trat die Verschlimmerung der Symptome bei den ME/CFS-Betroffenen auch noch am nächsten Tag auf. "Wir können also zwei Gruppen von Post-Covid-Betroffenen mit stark reduzierter Belastbarkeit unterscheiden", resümiert das Team.
Neben der Erfassung der Symptome ermittelten die Forschenden verschiedene Laborwerte und setzten sie in Beziehung zur Handkraft der Erkrankten, die bei den meisten vermindert war. "Bei den Menschen mit der weniger stark ausgeprägten Belastungsintoleranz stellten wir unter anderem fest, dass sie weniger Kraft in den Händen hatten, wenn sie einen erhöhten Spiegel des Immunbotenstoffs Interleukin-8 aufwiesen. Möglicherweise ist die reduzierte Kraft der Muskulatur in diesen Fällen auf eine anhaltende Entzündungsreaktion zurückzuführen", sagt Scheibenbogen. "Bei den Betroffenen mit ME/CFS korrelierte die Handkraft dagegen mit dem Hormon NT-proBNP, das von Muskelzellen bei zu schlechter Sauerstoffversorgung ausgeschüttet werden kann. Das könnte darauf hinweisen, dass bei ihnen eine verminderte Durchblutung für die Muskelschwäche verantwortlich ist."
Fazit der Expertinnen und Experten
Nach vorläufigen Beobachtungen könnte die Unterscheidung der beiden Gruppen sich auch im Krankheitsverlauf spiegeln. "Bei vielen Menschen, die ME/CFS-ähnliche Symptome haben, aber nicht das Vollbild der Erkrankung entwickeln, scheinen sich die Beschwerden langfristig zu verbessern", erklärt Scheibenbogen. Die neuen Erkenntnisse könnten zur Entwicklung spezifischer Therapien für das Post-Covid-Syndrom und ME/CFS beitragen. "Unsere Daten liefern aber auch einen weiteren Beleg dafür, dass es sich bei ME/CFS nicht um eine psychosomatische, sondern um eine schwerwiegende körperliche Erkrankung handelt, die man mit objektiven Untersuchungsmethoden erfassen kann", betont Scheibenbogen. "Leider können wir ME/CFS aktuell nur symptomatisch behandeln. Deshalb kann ich auch jungen Menschen nur ans Herz legen, sich mithilfe einer Impfung und dem Tragen von FFP2-Masken vor einer Sars-CoV-2-Infektion zu schützen."