Hypothesen, unnötige Laboruntersuchungen und zweifelhafte Interventionen – das Mikrobiom, ein Thema, zu dem es viele verschiedene Sichtweisen und Meinungen gibt. Bei der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten wurde am Dienstag eindrücklich vor bisher unbewiesenen Theorien und angeblich gesundheitsfördernden Eingriffen gewarnt.

"Das Mikrobiom ist die Sammlung von Mikroorganismen und ihren Genen (Mikrobiota; Anm.), die in einer bestimmten Umgebung, zum Beispiel dem Magendarmtrakt, leben. Es gibt viele Hinweise und Vermutungen, dass das gastrointestinale Mikrobiom ("Bakterienflora"; Anm.) eine bedeutende Rolle bei der körperlichen Entwicklung (zum Beispiel Immunsystem; Anm.), der Regulation vieler Körperfunktionen (zum Beispiel Verdauungsfunktionen; Anm.) und bei Erkrankungen (zum Beispiel chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Störungen der Darm-Hirn-Achse; Anm.) hat", stellte Thomas Frieling, Chefarzt der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie am Klinikum Krefeld, fest.

Die fehlende Definition des "gesunden Mikrobioms"

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Das Problem: Wissenschaftlich werden Zusammensetzung, Einfluss und mögliche Interventionen zur Gesundheitsförderung via Keimzusammensetzung der Darmflora noch kaum verstanden, auch wenn es in den vergangenen Jahren im Geschäft mit der Gesundheit dazu einen regelrechten Hype gegeben hat. Der Experte: "Trotz großer Anstrengungen und umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchungen sind wir immer noch nicht in der Lage, das 'gesunde' Mikrobiom im menschlichen Darm zu definieren."

Längst sind auch völlig falsche Ansichten zu Umfang und Zusammensetzung des Mikrobioms im Umlauf. Frieling: "Grundlegende Vorstellungen über die Menge des Mikrobioms, die immer wieder in vielen Arbeiten aufgeführt werden, sind nach neueren wissenschaftlichen Untersuchungen falsch. So liegt die Masse des Mikrobioms nicht bei 1,5 bis zwei Kilogramm, und die Menge der Bakterien des menschlichen Körpers übersteigt nicht die Zahl der menschlichen Körperzellen um das Zehnfache. Wir wissen heute, dass die Bakterienmasse des menschlichen Körpers 'nur' bei etwa 200 Gramm beziehungsweise im Darm bei etwa 100 Gramm liegt und das Verhältnis von Bakterienzahl zu Körperzellzahl etwa gleichwertig ist."

Ernährung ist ein Schlüsselfaktor, aber ...

Unklar seien auch die Gründe für die oft als wichtig bezeichnete Vielfalt der im Darm vorkommenden Bakterienarten. Der Gastroenterologe: "Daher wissen wir immer noch nicht präzise, wie wir das menschliche Mikrobiom so modifizieren müssen, dass die Gesundheit positiv beeinflusst werden kann. Obwohl die Ernährung als Schlüsselfaktor bei der Beeinflussung des Mikrobioms und der Energiebilanz im Körper gesehen wird, ist unser Wissen auch hierüber noch lückenhaft."

Mittlerweile werden oft Laboruntersuchungen von Stuhlproben als Möglichkeit angepriesen, um Quantität und "Qualität" des Darmmikrobioms angeblich bestimmen zu können. Abseits von Tests im Falle von akuten gastroenterologischen Erkrankungen ist das aber offenbar nicht verlässlich. Frieling: "Während die Suche nach pathogenen (krank machenden; Anm.) Erregern im Stuhl – zum Beispiel Salmonellen oder Rotaviren – zur Klärung von Durchfallerkrankungen etabliert ist, ist die Untersuchung des individuellen Mikrobioms ohne klinische Bedeutung und wird nach unserer aktuellen Reizdarmleitlinie auch nicht empfohlen." Der Grund, die Ergebnisse dieser Untersuchungen seien in Bezug auf das Mikrobiom aufgrund der fehlenden Standardisierung nicht wirklich verlässlich.

Wissen der Medizin über Mikrobiom ist lückenhaft

Daher sei auch das Wissen der Medizin über die Bedeutung des Darmmikrobioms für Gesundheit und Krankheit lückenhaft. Daraus Interventionen oder gar Behandlungsstrategien abzuleiten, ist damit ein Handeln auf der Basis unklarer Datenlage. Informationen gibt es bisher vor allem aus Tierversuchen. Der Experte: "Während beeindruckende Ergebnisse über die Beeinflussung oder Initiierung von Erkrankungen durch fäkalen Mikrobiomtransfer bei neurologischen, rheumatologischen beziehungsweise metabolischen Erkrankungen und auch beim Reizdarmsyndrom in Tierversuchen vorliegen, ist die klinische Relevanz beim Menschen unklar." Zwar könne bei verschiedenen Erkrankungen eine Abnahme der Vielfalt der Darmkeimflora festgestellt werden, ob das aber "krankheitsbestimmend" sei bzw. welche Bakterien hier womöglich ursächlich beteiligt seien, ist nicht bekannt. "Auch der Einfluss der Ernährung beziehungsweise spezifischer Diäten auf Mikrobiom-vermittelte Änderungen des Stoffwechsel- beziehungsweise Gewichtsverhaltens sind in ihrer klinischen Bedeutung beim Menschen unklar."

Das treffe schließlich auch für die Anwendung von Probiotika zu, die seit Jahren stark beworben werden. Die "Datenlage ist aber spärlich", stellte der Gastroenterologe fest. Allein für die Behandlung wiederkehrender schwerer Darmentzündungen aufgrund von Clostridium-difficile-Infektionen lägen positive Studiendaten für den sogenannten Mikrobiomtransfer ("Stuhlübertragung"; Anm.) vor. Beim Reizdarmsyndrom sei ein derartiges Vorgehen außerhalb von wissenschaftlichen Studien derzeit nicht angebracht.