Wie rasch sich Viren verändern können, haben die letzten Monate gezeigt. In rund zwei Jahren hat das Coronavirus unzählige Veränderungen durchlaufen. Die Varianten Alpha, Beta, Delta und zuletzt Omikron zeigten auch, dass sich einige diese Veränderungen unmittelbar auf das Infektionsgeschehen, die Krankheitsschwere und viele weitere Dinge auswirken können. Aber was wäre, wenn man Mutationen am Virus – und dadurch neue Varianten – vorhersagen könnte? Das versuchen derzeit das medizinische Labor infektiologie.tirol und Biologen der Uni Graz in einer Zusammenarbeit. Die ersten Ergebnisse dazu wurden im Fachmagazin Virologica Sinica publiziert.
Eine der Erkenntnisse schildert Stephan Koblmüller, Biologe an der Uni Graz: "Die Mutationen am Virus scheinen nicht zufällig verteilt zu sein. Gewisse Stellen dürften eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, zu mutieren." Das betrifft Stellen, die auch bei bekannten Virusvarianten verändert sind. "Alpha, Delta und Omikron dürften also nicht rein zufällig entstanden sein." Eine der besagten Stellen am Virus ist das Spike-Protein, auf das es die körpereigene Immunabwehr – und auch die Impfstoffe – besonders abgesehen haben.
Doch wie wurde bisher vorgegangen, um möglicherweise neue Varianten vorhersagen zu können? Sissy Sonnleitner von infektiologie.tirol erklärt: "In unserem Vorläuferprojekt haben wir Viren in Kultur genommen und uns angesehen, was diese Coronaviren überhaupt machen, wenn sie ganz in Ruhe gelassen werden." Dabei zeigte sich: Das Spike-Protein bildete auch in Kultur schon eine hohe Anzahl an Mutationen aus – ohne dass es mit Antikörpern in Berührung kam – also ohne, dass es den Druck hatte, sich anpassen zu müssen, um sich durchzusetzen.
Nicht immer besorgniserregend
"Wir haben dabei auch gesehen, dass Mutationen am Spike-Protein nicht immer bedeuten, dass ein Immun-Escape vorliegt", so Sonnleitner. Unter Immun-Escape versteht man die Fähigkeit eines Virus, das Immunsystem zu täuschen und so Immunreaktionen zu verhindern. Nicht jede Mutation am Spike-Protein macht das Virus also ansteckender: "Manchmal ist es auch nur eine einfache Anpassung des Virus."
Im Folgeprojekt – das aktuell läuft – wird das Virus unter Druck gesetzt. Dazu wurden die Kulturen mit Seren von geimpften und genesenen Menschen versetzt. "Diese haben Antikörper, die das Virus in seinem Wachstum stören und wir sehen uns an, was das Virus unter diesen Voraussetzungen macht", so Sonnleitner. Da diese Prozesse viel Zeit brauchen, sind die endgültigen Ergebnisse noch ausständig. Ein paar Dinge zeichnen sich aber schon ab: "Mit den Seren von jenen Menschen, die dreifach mit dem Biontech/Pfizer Impfstoff geimpft sind, tun sich die Viren mit Abstand am schwersten. Hier ist das Wachstum deutlich gehemmt."
Virusmutation im menschlichen Körper
Außerdem wurde im Rahmen des Projekts auch ein Patient begleitet. Dieser hatte aufgrund seiner Vorerkrankungen lange mit der Infektion zu kämpfen: "Auch in ihm fanden Mutationen statt, die den beschriebenen sehr ähnlich sind", sagt Sonnleitner. Vor allem bei immunsupprimierten Menschen solle man laut der Expertin genau hinsehen: "Hier können sich im Falle einer Infektion, relevante Mutationen im Körper bilden. Das ist ein Hinweis darauf, dass es sich dabei um die Antwort des Virus auf die Immunabwehr handelt."
Die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch für die Impfstoffentwicklung wichtig werden. Möglicherweise wäre es schlussendlich möglich, mit diesem Wissen Impfstoffe und Medikamente auf zu erwartende Varianten maßzuschneidern. Denn: "Mit mehr Einblick in das Erbgut könnte es uns gelingen, weitere Mutationen vorherzusagen", hofft Sissy Sonnleitner. Auch könnte es leichter werden zu erkennen, welche Veränderungen am Virus Grund zur Sorge sind und welche nicht.