Als Paul Dostal vor einigen Jahren im Bus saß, hörte er einen Mann laut telefonieren: „Ich befand mich ungefähr in der Mitte des Busses und schaute nach vorne, da ich die Stimme von dort vernahm, konnte den Mann aber nicht ausmachen. Nach einiger Zeit blickte ich mich um und sah, dass der Mann eigentlich ganz hinten im Bus saß.“ Solche Situationen erlebte der Steirer immer wieder. Denn schon seit seiner Kindheit leidet er an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit am linken Ohr, die ihm das Richtungshören erschwert.

Sozialer Rückzug

Die große Einschränkung ergab sich aber vor allem durch die Schwierigkeiten mit dem Sprachverstehen in Situationen mit höherem Geräuschpegel: „Da ich nur das rechte Ohr zur Verfügung hatte, musste ich immer den Kopf drehen, damit ich den Gesprächspartnern folgen konnte. Dann wird auch ein schnelles Getränk mit Freunden in einem Lokal zu einer anstrengenden Prozedur. So ein Tag kann schon einmal mit starken Spannungskopfschmerzen enden“, erzählt der 31-Jährige. Das hatte auch Auswirkungen auf sein Sozialleben: „Obwohl ich gerne unter Menschen bin und mich unterhalte, habe ich in den letzten Jahren immer öfter solche Situationen gemieden und mich zurückgezogen.“


Die Lösung des Problems kam letzten Juni: Paul Dostal bekam als erster Österreicher ein neuartiges Hörimplantat eingesetzt. Dieses bietet neue Versorgungsmöglichkeiten für Patienten mit mittelgradiger Schwerhörigkeit, wie HNO-Facharzt Matthias Graupp (LKH Univ. Klinikum Graz/Med Uni Graz) erklärt: „Menschen mit leichter Schwerhörigkeit können meist mit konventionellen Hörgeräten gut versorgt werden. Bei Personen mit schwergradiger Schwerhörigkeit haben wir unter anderem mit dem Cochlea-Implantat eine gute Möglichkeit. Schwieriger war die Versorgung von Patienten mit mittelgradiger Schwerhörigkeit, die kein konventionelles Hörgerät tragen können.“ Das kann der Fall sein, wenn Betroffene das Hörgerät nicht vertragen, Fehlbildungen im Ohr haben, oder mehrmals am Ohr operiert werden mussten, wie Paul Dostal.

Neues Prinzip

Das neue Implantat funktioniert nach einem anderen Prinzip als jene, die bisher zur Verfügung standen, erklärt der HNO-Experte: „Grundlage ist der piezoelektrische Effekt. Dabei entsteht elektrische Spannung, wenn gewisse Materialien verformt werden. Das Implantat nutzt diesen Effekt umgekehrt – das kennt man unter anderem von Mikrofonen.“ Man legt eine gewisse Spannung an und verursacht damit eine Verformung des Materials, was zu einer Schwingung führt. Diese Schwingung wird dann über eine implantierte Schraube direkt an das Innenohr übertragen und somit kann der Schall der Umgebung wieder gehört werden.

Der äußere Teil des Hörimplantats hängt durch Magneten am implantierten Teil, der unter der Haut liegt
Der äußere Teil des Hörimplantats hängt durch Magneten am implantierten Teil, der unter der Haut liegt © LKH Graz/ Wiesner

„Ein weiterer Vorteil besteht im geringen Platzbedarf. Damit haben wir ein Implantat, das wir gut unter der Haut verpacken können und das trotzdem sehr leistungsstark ist“, so Graupp. Generell besteht das Implantat aus zwei Teilen: einem, der unter die Haut kommt und einem, der außen am Kopf getragen wird. Der äußere Teil hängt über einen Magneten am implantierten Teil. Die Haut dazwischen ist komplett verschlossen. Der äußere Teil kann jederzeit abgenommen werden: „Dann sieht man nichts außer einer kleinen Narbe.“ Die Operation kann in 30 bis 45 Minuten durchgeführt werden.

Eindeutige Verbesserung

Paul Dostal hat sich mittlerweile an sein Implantat gewöhnt: „Es erstaunt mich ehrlich gesagt, wie selbstverständlich ich es inzwischen trage – vor allem wegen der ästhetischen Bedenken, die ich vorher hatte. Einfach hinters Ohr geben und fertig. Anfangs trug ich es noch sporadisch, dann öfter und jetzt so gut wie immer.“ Der Steirer hat dadurch auch einiges an Lebensqualität wiedergewonnen: „Es hat etwas Befreiendes, sich nicht mehr so anstrengen zu müssen, um meine Mitmenschen zu verstehen und zudem nicht mehr ständig darauf achten zu müssen, ob man ja mit der ,guten Seite’ zum Gesprächspartner ausgerichtet ist. Desto öfter ich es trage, desto mehr merke ich, was mir vorher gefehlt hat.“


Auch die im Anschluss durchgeführten Tests am LKH Graz zeigten eine eindeutige Verbesserung von Dostals Hörvermögen, wie Matthias Graupp berichtet: „In gewissen Bereichen zeigt sich sogar eine Verdoppelung des Sprachverstehens im Vergleich zu jenen Situationen, in denen der Patient das Implantat nicht trägt.“

Und er soll nicht der einzige bleiben, der von dieser Technik profitiert: Weitere Patienten wurden bereits mit dem Implantat versorgt. Der 31-Jährige empfiehlt jedenfalls allen Betroffenen, sich regelmäßig zu informieren, welche (neuen) Möglichkeiten es gibt: „Mich hat mein Hörverlust vor allem im sozialen Umfeld negativ beeinflusst. Wenn du schlecht hörst, ziehst du dich eher zurück. Außerdem sollte man auch ästhetische Bedenken vorweg erst einmal lassen. Denn wenn heute eine Brille als modisches Accessoire gilt, dann vielleicht auch bald ein Hörgerät.“