1 Was wissen wir über diese neue Variante?
Die neue Variante von Sars-CoV-2, die im südlichen Afrika erstmals entdeckt wurde, trägt die Bezeichnung B.1.1.529 oder Omikron. Hervorgegangen ist sie aus einem Vorläufer der Alpha-Variante (früher britische Variante). Gesichert ist, dass die Fallzahlen von einem eigentlich niedrigen Niveau in der südafrikanischen Provinz Gauteng im Verlauf des November sprunghaft angestiegen sind. Anfang November wurden in der Provinz, in der auch Johannesburg liegt, 22 Fälle pro Tag gemeldet. Am 25. November waren es 1950 Fälle. "Diese Steigerung ist jenseits von allem, was wir bislang kennen", sagte Ulrich Elling Ende November. Der Molekularbiologe zeichnet mit seinem Team in Österreich für den überwiegenden Anteil der Sequenzierungen verantwortlich. Dass die Steigerung auf eine erhöhte Testrate zurückzuführen sei, verneint der Wissenschaftler vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Testrate sei über die letzten Wochen mit 30.000 bis 40.000 Tests relativ stabil gewesen.
2 Warum ist die Variante besorgniserregend?
ANTWORT: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Omikron genannte Variante am Freitagabend als "besorgniserregend" eingestuft. Diese Klassifizierung ist laut WHO-Definition ein Signal, dass eine Variante ansteckender ist oder zu schwereren Krankheitsverläufen führt. Außerdem besteht bei "besorgniserregenden Varianten" die Gefahr, dass herkömmliche Impfungen, Medikamente oder Corona-Maßnahmen weniger wirksam sind.
Grundsätzlich weist die Variante 32 Mutationen am Spike-Protein auf, mehr als doppelt so viele wie bei der Delta-Variante gesehen wurden. Das Spike-Protein ist jener Teil des Virus, dass sich Einlass in die Zellen verschafft. Doch es ist nicht die Menge der Mutationen, die Sorgen bereitet. Denn eine Mutation muss nicht notwendigerweise einen Vorteil für das Virus bedeuten. Zig Mutationen sind im Verlauf der Pandemie auch wieder verschwunden, weil sie zum Beispiel dem Virus keinen Wettbewerbsvorteil gebracht haben. Aber: Viele der Mutationen, die nun B.1.1.529 aufweist, wurden auch schon für sich allein beobachtet - in Alpha, Beta, Gamma oder auch Delta. "Da hatten sie aber immer einen Selektionsvorteil“, sagt Elling.
Vor allem jene Stellen, über die das Virus an die menschliche Zelle andockt (rezeptorbindende Domäne), sind "komplett mutiert". Darüber hinaus zeigt B.1.1.529 einige Mutationen, die helfen könnten, dem Angriff von neutralisierenden Antikörpern, zumindest teilweise zu entkommen, ein sogenannter "Immune Escape". Das bedeutet, es könnte sein, dass diese Variante den Impfschutz partiell oder ganz umgeht.
3 Ist Omikron noch einmal ansteckender als die zuvor in Europa kursierenden Varianten Alpha und Delta, die ihrerseits schon deutlich leichter übertragbar waren als davor dominierende Versionen?
ANTWORT: Der Virologe Christian Drosten betonte, bei der Virusvariante B.1.1.529 gebe es noch viele offene Fragen. Es sei unklar, ob die Variante tatsächlich ansteckender ist oder ob ein anderer Faktor Grund für die momentan beobachtete Ausbreitung ist. Aus den Zahlen in Südafrika allein lasse sich nicht zwingend auf eine erhöhte Übertragbarkeit schließen, unter anderem da das Infektionsgeschehen dort zuletzt stark reduziert gewesen sei und neu auftretende Ausbrüche vor so einem sehr kleinen Hintergrund übergroß erscheinen könnten.
Als ein Hinweis auf höhere Übertragbarkeit lässt sich ein Fall in Hongkong werten, zu dem die Details genau bekannt sind, weil er in einer Quarantäne-Unterkunft passierte: Nach Angaben der Hongkonger Regierung hat ein Reisender aus Südafrika die Variante mitgebracht und sie trotz strenger Isolation an einen 62-Jährigen im gegenüberliegenden Zimmer weitergegeben. Mögliche Ursache: kein ausreichender Mundschutz beim Entgegennehmen von Essen durch die Hoteltür. Beide Männer wiesen demnach eine sehr schnell ansteigende, rasch sehr hohe Viruslast auf.
5 Was wissen wir noch nicht über diese Variante? Was gehört noch erforscht?
ANTWORT: Es ist noch unklar, inwieweit diese Variante die Schwere einer Covid-19-Erkrankung beeinflusst. Es ist ebenso noch nicht gesichert, ob diese wirklich infektiöser, also ansteckender, ist. "Die Vermutung liegt nahe, aber das müssen wir im Labor erst bestätigen“, sagt Elling. "Wir sehen, dass der Anstieg der Zahlen und das Auftauchen der Variante korrelieren. Nun müssen wir den kausalen Zusammenhang herstellen." Grundsätzlich weist die südafrikanische Gesellschaft eine hohe Durchseuchung auf, auch ist in dem Land gerade Frühling. Ein Ansteigen der Inzidenz ist also eher ungewöhnlich.
Und schließlich stellt sich die Frage nach dem Immunschutz, den Geimpfte wie Genesene aufgebaut haben. Auch diese kann noch nicht abschließend geklärt werden. Florian Krammer, Steirer, der in New York lebt und forscht: "Es könnte sein, dass das die erste Variante ist, auf die man den Impfstoff anpassen muss - vielleicht aber auch nicht." Krammer wie Elling sind sich einig: Es braucht mehr Daten und Untersuchungen. Das allerdings äußerst rasch.
6 Wie gut schützen die derzeit verwendeten Impfstoffe gegen Omikron?
ANTWORT: Diese Frage kann man aktuell nicht klar beantworten. Erste Laboruntersuchungen der Hersteller dazu laufen derzeit, mit Ergebnissen wird in etwa zwei Wochen gerechnet. Binnen weniger Monate könnten die mRNA-Impfstoffe von Biontech sowie Moderna angepasst werden, so die Unternehmen. Die genetischen Eigenschaften lassen Experten jedenfalls um den Impfschutz bangen: B.1.1.529 hat Mutationen an mehreren dafür entscheidenden Stellen. "Nach derzeitigem Ermessen sollte man davon ausgehen, dass die verfügbaren Impfstoffe grundsätzlich weiterhin schützen", so Drosten. Gerade der Schutz gegen schwere Erkrankungen sei besonders robust gegen Virusveränderungen.
Auch bei verringerter Wirksamkeit bleibe die Impfung die beste Option, betonte Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI). Dem Berliner Infektionsimmunologen Leif Erik Sander zufolge hat Omikron zwar viele Veränderungen an Stellen, an denen gerade die besten Antikörper binden können. "Aber unser Körper bildet eine Unmenge an verschiedenen Antikörpern." Hinzu kämen spezielle Zellen der Immunabwehr, die in der Regel ganz andere Stellen erkennen als die Antikörper. "Also wir haben immer ein Netz und einen doppelten Boden", sagte der Immunologe der Berliner Charité.
7 Erkranken mit Omikron Infizierte schwerer?
ANTWORT: "Für eine veränderte Krankheitsschwere gibt es derzeit keine Hinweise", betont Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité. Nach Angaben der Mediziner-Vereinigung SAMA in Südafrika erkrankten die dort Betroffenen bisher nicht schwerwiegender. Allerdings stehen die Analysen dazu noch am Anfang, Südafrika hat zudem andere Grundvoraussetzungen - etwa eine andere Altersstruktur - als Länder wie Deutschland. Hinzu kommt, dass sich in Südafrika großteils Menschen infizierten, die schon von einer anderen Variante genesen waren, also schon einen gewissen Immunschutz haben. Aussagen über den Krankheitsverlauf seien derzeit nicht möglich, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). "Dazu haben wir momentan einfach zu wenige Fälle."
8 Wie läuft der Nachweis von Omikron?
ANTWORT: Mit einem herkömmlichen PCR-Test lässt sich lediglich feststellen, ob eine Infektion mit Sars-CoV-2 vorliegt, nicht mit welcher Variante. Daneben gibt es variantenspezifische PCR-Testungen, mit denen sich bereits bekannte Virusvarianten wie Delta erkennen lassen. Dabei werden charakteristische Mutationen meist innerhalb des Spike-Proteins mittels PCR erfasst.
9 Warum Omikron und nicht Ny als Name?
ANTWORT: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benennt auffällige Varianten von Sars-CoV-2 seit einiger Zeit nach den Buchstaben des griechischen Alphabets. Damit soll verhindert werden, dass die Orte, an denen die Varianten erstmals auftreten, als Bezeichnung verwendet und sprachlich an den Pranger gestellt werden. Der Reihenfolge nach hätte nun Ny folgen sollen - doch die WHO ließ diesen und auch gleich den folgenden Buchstaben Xi aus. Warum? Ny, das auf Englisch Nu heißt, klinge zu sehr nach "new" (deutsch: "neu") und wäre daher missverständlich gewesen, hieß es dazu von der WHO. "Xi wurde nicht verwendet, weil es ein verbreiteter Nachname ist." Virus-Bezeichnungen sollten keine ethnischen oder regionalen Gruppen verletzen. Wobei Xi zwar in China und in Ländern mit Han-chinesischer Bevölkerung gebräuchlich ist, aber zumindest in China kein sehr häufiger Name. Es gibt allerdings einen sehr wichtigen Namensträger: den chinesischen Staatschef Xi Jinping.