Alle Menschen in Österreich werden sich - mindestens - einmal mit dem Coronavirus infizieren, lautet die "Langzeitprognose" des Rotkreuz-Bundesrettungskommandanten Gerry Foitik. "Mit Impfschutz und regelmäßiger Auffrischung (wie häufig ist unklar) ist das nicht angenehm, aber besser als ungeimpft, wo man ein unkalkulierbares Risiko nimmt", warnte er auf Twitter und erneuerte den Aufruf zum Impfen.

Impfung dennoch zentral 

"Bis alle Menschen geimpft werden können (auch Kinder jeden Alters) müssen wir 'Durchseuchung' verhindern. Wir müssen dafür sorgen, dass weltweit alle Menschen geimpft werden können", so Foitik weiter. Seine Prognose darüber hinaus: "Hygienemaßnahmen (auch saisonale) werden uns begleiten wie so vieles Andere, an das wir uns gewöhnt haben (wie Brillen, WC-Papier oder meinetwegen Sonnencreme)." In Kombination mit verbesserten Therapien würden "auch (geimpfte) Risikopatientinnen und -patienten" nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 "weniger leiden müssen".

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Im Vergleich zu anderen österreichischen Bundesländern ist die Lage auf den Intensivstationen in den Wiener Krankenhäusern relativ stabil. Aktuell müssen 89 Covid-Schwerkranke versorgt werden. Diese Zahl ist seit geraumer Zeit relativ konstant. Doch Thomas Staudinger, Leiter der Intensivstationen am AKH, ist sich sicher: "Wir haben noch eine Ruhe vor dem Sturm."

Kapazitäten freischaufeln 

Im Wiener Allgemeinen Krankenhaus gibt es für Erwachsene zwölf Intensivstationen, drei davon sind mit Covid-Patientinnen und -Patienten belegt. "Es gibt vielleicht einen Tag, wo ein oder zwei Betten frei sind, die dann an diesem Tag aber ganz sicher belegt werden. Manchmal gibt es Tage, wo gar nichts frei ist, wo man umschichten muss", berichtete der Mediziner der APA von seinem Alltag im Krankenhaus.

Was Staudinger auffällt: "Die Patienten sind deutlich jünger. Wir haben bei den Covid-Patienten ein mittleres Alter von circa 45 Jahren, es ist kaum jemand über 60. Unser jüngster Patient ist derzeit 32 Jahre alt." Was dem Mediziner noch auffällt: "Der Hauptrisikofaktor ist ausgeprägtes Übergewicht. 80 Prozent unserer Patienten sind übergewichtig."

Wenig ältere Intensivpatienten 

Ältere Patienten gebe es hingegen kaum: "Das ist es sicher so, dass die Impfung eine Riesenrolle spielt, im Verhindern eines schweren Verlaufs. Ich möchte nicht wissen, wie es ausschauen würde, wenn nicht gerade bei älteren Patienten fast 80 Prozent Durchimpfungsrate da wäre." In diesem Zusammenhang wies der Mediziner auch auf die Wichtigkeit der Drittimpfung hin: Man wisse aufgrund von Daten aus u.a. Großbritannien oder Israel, dass es ein entscheidender Faktor sei, den Impfschutz aufrecht zu erhalten.

Geimpft ist im Moment nur einer von Staudingers Covid-Intensivpatienten: "Das ist ein Mitte 50-Jähriger, der allerdings mit AstraZeneca geimpft ist, wo man weiß dass die Impfdurchbruchsrate eine höhere ist und der eine Vorerkrankung hat." Bei seinen ungeimpften Patienten hat Staudinger den Eindruck einer Erkenntnis: "Die meisten sehen natürlich schon, was das für ein Problem nach sich zieht, da geht es ja wirklich um das Überleben. Sie sehen auch die Schwere dieser Erkrankung, die sie ja oft vorher auch nicht gesehen haben. Da gibt es keinen mehr, der das verharmlosen würde."

Viele Patienten überleben 

Kritik übte Staudinger an so manch politischer Debatte im Land, die mittlerweile auch an der Substanz des Krankenhaus-Personals zehre. "Diese Verharmlosung, oder das so tun als ob wir das Falsche tun würden, und es eigentlich eh ganz einfach wäre, solche Verläufe zu verhindern. Das macht uns schon wütend und traurig." Kraft gibt Staudinger unterdessen: "Das, was wir tun, tun wir eigentlich im überwiegenden Maß erfolgreich. Die Mehrzahl der Patienten überlebt und wird auch wieder ins Leben zurückkommen. Das ist das, an dem man sich festhalten kann. Aber irgendwann, glaube ich, sollte es dann doch vorbei sein."

Während in Wiens Spitälern noch die „Ruhe vor dem Sturm“ herrscht, hat sich die Situation in Salzburgs Spitäler wegen steigender Corona-Neuinfektionen verschärft. Ärzte schlagen seit Tagen Alarm. Laut dem Infektiologen Richard Greil vom Uniklinikum Salzburg sollte wegen der großen Zahl an Impfdurchbrüchen die dritte Impfung in vier Wochen abgeschlossen sein.

Personal am Limit

"Die vierte Welle ist massiv da. Wir müssen sehen, wie wir da herunterkommen", sagte Greil am Mittwoch im APA-Gespräch. 60 Prozent der Corona-Patienten auf den Normalstationen und 30 Prozent der Patienten auf den Intensivstationen seien von Impfdurchbruch-Infektionen betroffen. Es gebe jede Menge an Durchbruchsinfektionen und Clusterbildungen beim Personal, das vor allem auch auf der Normalstation bereits am Limit arbeite.

Um die Lage in den Griff zu bekommen, sollte man die Kontakte ab sofort "kategorisch herunterfahren", was in letzter Konsequenz einen Lockdown bedeute, sagte Greil. "Wir sind in einer Situation, wo wir nur wenig Restkapazitäten haben, und die müssen ausgeschöpft werden." Es brauche jetzt entsprechende Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, die von der Politik gesetzt werden müssten. Die Kontaktbeschränkung sollte mindestens zwei Wochen lang dauern, damit sich in zwei, drei Wochen eine Wirkung entfalten könne.

Blick nach Israel 

Gegenüber den SN ließ Greil ebenfalls Kritik an den bisher in Österreich getroffenen Maßnahmen anklingen. "Es ist seit dem Sommer aus den israelischen Daten bekannt, dass die dritte Impfung eine elffach niedrigere Infektionsrate und eine 19 Mal niedrigere Hospitalisierungsrate mit sich bringt. Hier waren auch die Empfehlungen der Impfkommission zögerlich."

In Israel seien umgehend der Grüne Pass in der Wirkdauer auf sechs Monate reduziert, die dritte Impfung massiv und in kürzester Zeit forciert und umgesetzt worden. "Das ist in Österreich unterblieben, obwohl klar war, dass es nach fünf bis sechs Monaten zu einem deutlichen Absinken der Impfschutzwirkung kommt." Und er warnte: "Im Moment sind wir in den Spitälern an die Wand gedrückt mit der Gesamtversorgung von Covid- und Non-Covid-Patienten."

Mahnte Worte kommen auch von Virologen Andreas Bergthaler: "Wir müssen uns eingestehen, dass uns die Pandemie nach wie vor noch im Griff hat", sagte er  im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung von APA-Science am Dienstagabend. Das aktuelle Geschehen sei eine Art "Deja vu" zum Vorjahr mit "unterschiedlichen Vorzeichen". Seitens der Politik gelte aber auch diesmal, dass man sich zwar mit dem Löschen akuter "Brände" beschäftigt, die Kapazitäten für mittel- und längerfristiges Denken aber scheinbar fehlen.

Die Pandemie ist nicht vorbei

Trotz all der Hochstimmung in den vergangenen beiden Sommern sei klar gewesen, dass Covid-19 als Atemwegserkrankung im Herbst wieder zurückkommt. Heuer hatte man die Hoffnung, dass das Comeback durch die Impfungen möglichst stark gebremst wird. Offensichtlich reiche die Durchimpfungsrate in Österreich dazu aber eben noch nicht aus. "Das Problem ist alles andere als erledigt", so der Wissenschafter. "Eigentlich müssten wir uns jetzt Gedanken machen, wie wir mit unter Umständen zu erwartenden Wellen im Jänner, Februar oder März umgehen."