Der Botenstoff TGFβ (Transforming Growth Factor β) hat im menschlichen Körper viele Funktionen. Er spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei der Embryonalentwicklung und der Heilung von Gewebe, wirkt aber auch auf das Immunsystem. Normalerweise ist das Signalmolekül mit dafür verantwortlich, eine Immunreaktion nach der erfolgreichen Bekämpfung eines Krankheitserregers wieder herunterzuregeln. Es wird daher erst gegen Ende einer Infektion gebildet.

Das ist bei Covid-19 anders: Forschende verschiedener Disziplinen aus der Charité Berlin haben nun nachgewiesen, dass der Körper besagten Botenstoff bei schweren Verläufen schon innerhalb der ersten Woche der Infektion verstärkt produziert. „Das konnten wir bei anderen Lungenentzündungen nicht beobachten und hat uns sehr überrascht“, sagt Mario Witkowski, korrespondierender Erstautor der Studie. Wie das Team herausfand, wirkt sich das falsche Timing der TGFβ-Ausschüttung auf einen Teil des Immunsystems aus, der bisher weniger stark im Fokus der weltweiten Forschung stand: die angeborene Abwehr.

Die angeborene Abwehr ist die erste Verteidigungslinie des Körpers gegen Eindringlinge. Sie attackiert alle Krankheitserreger auf dieselbe Art und Weise, ist also unspezifisch, dafür aber umgehend einsatzbereit.

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Für die sofortige Bekämpfung von Eindringlingen ist das angeborene Immunsystem daher unabdingbar. Ist der Erreger ein Virus, werden hier vor allem sogenannte natürliche Killerzellen aktiv. Sie sind darauf spezialisiert, virusinfizierte Zellen des Körpers anhand ihrer veränderten Oberfläche zu erkennen und sie mithilfe von Zellgiften zu beseitigen. Wie das Berliner Forschungsteam nun erstmals belegen konnte, tragen natürliche Killerzellen auch zur frühen Eindämmung von SARS-CoV-2 bei. Allerdings wird ihre Fähigkeit, infizierte Zellen zu entfernen, durch die frühe Ausschüttung von TGFβ behindert.

Der Effekt tritt vor allem bei Covid-19-Betroffenen mit schwerem Verlauf auf. Bei ihnen war TGFβ bereits in den ersten Tagen der Infektion in hohen Mengen nachweisbar, während Menschen mit milden Symptomen den Botenstoff erst nach mehr als drei Wochen produzierten. Bei Patienten mit anderen schweren Lungenentzündungen zeigten die NK-Zellen keine Zeichen einer Einwirkung von TGFβ.

Zur falschen Zeit

„Neben anderen Faktoren entscheidet also das Timing der TGFβ-Ausschüttung darüber, wie Covid-19 verläuft“, resümiert Andreas Diefenbach, korrespondierender Leiter der Studie. „Vermutlich ist das angeborene Immunsystem bei den meisten Covid-19-Betroffenen in der Lage, das Virus schon kurz nach der Infektion zurückzudrängen. Bei manchen Patientinnen und Patienten reagiert das Immunsystem jedoch so stark auf den Erreger, dass der Körper gegenreguliert und den dämpfenden Botenstoff TGFβ bildet. Das blockiert unter anderem die Funktionsfähigkeit der natürlichen Killerzellen.

Zu dem Zeitpunkt ist SARS-CoV-2 jedoch noch nicht beseitigt, das hemmende Signal kommt also zu früh. Diese fehlgeleitete Immunreaktion führt schließlich dazu, dass das Virus nicht effizient bekämpft werden kann und die für schwere Verläufe typischen Schäden entstehen. Eine solche starke Aktivierung und gleichzeitige Hemmung von natürlichen Killerzellen konnten wir bei anderen Infektionen wie zum Beispiel der Influenza nicht beobachten, das scheint eine Besonderheit von Covid-19 zu sein.“ 

Möglicher Behandlungsansatz 

Auf Basis ihrer Ergebnisse halten die Forschenden es für möglich, dass eine zeitige Hemmung von TGFβ schwere Verläufe von Covid-19 verhindern könnte. Um die Wirkung des Botenstoffs zu blockieren, kämen eine Reihe von Wirkstoffen infrage, die ursprünglich zur Behandlung von Krebs und Rheuma entwickelt wurden und derzeit in klinischer Prüfung sind.