Das Team um den Simulationsforscher Nikolas Popper geht in seiner aktuellen "Modellbasierten Schätzung des Immunisierungsgrades in Österreich" von rund 61 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, die momentan tatsächlich gegen das SARS-CoV-2- Virus immunisiert sind. Dies drücke die effektive Reproduktionszahl um 52 Prozent. Abseits der rund 50.000 aktiven Covid-19-Fälle um den 1. November könnte es zu dem Zeitpunkt noch rund 175.000 zusätzliche Infizierte gegeben haben (Dunkelziffer).
Rund 40 Prozentpunkte unter den 61 Prozent Immunisierten sind auf Impfungen zurückzuführen. Etwas mehr als zehn Prozentpunkte tragen Personen bei, die sowohl genesen als auch geimpft sind. "Etwa neun Prozentpunkte haben ihre Immunität ausschließlich aufgrund einer überstandenen Covid-Erkrankung", schreiben die Experten des Unternehmens dwh, einem Spin-off der Technischen Universität (TU) Wien.
Prognose
Rückgang des Impfschutzes
Auch wenn sich dieser Anteil der durch Krankheit immunisierten Menschen zuletzt durch die steigenden Neuinfektionszahlen leicht erhöht hat, sei er noch nicht wirklich hoch, sagte Popper. Insgesamt hat sich die Anzahl der Menschen, die durch eine nachgewiesene oder nicht nachgewiesene überstandene Infektion geschützt sind, seit März und April sogar reduziert. Dieser Effekt erklärt auch die Diskrepanz von Poppers Immunitätsschätzung zur vermeintlich viel höheren Immunisierungsrate, die sich aus den aktuell etwas über 62 Prozent vollständig geimpften Österreichern und den Genesenen zusammensetzt. Die Differenz ergibt sich u.a. durch den Abzug jener Menschen, die trotz Impfung nicht ausreichend geschützt sind, weil etwa ihr Immunsystem keine entsprechende Antwort aufgebaut hat. Auch berücksichtigt haben die Wissenschafter die Abschwächung der Immunantwort mit der Zeit.
Auf Basis aller zur Verfügung stehender Daten berechnen Popper und Kollegen auch laufend den Einfluss der Immunisierung der Bevölkerung auf die effektive Reproduktionszahl. Diese liegt aktuell über dem neuralgischen Wert von 1, was bedeutet, dass 100 Infizierte statistisch gesehen wiederum mehr als 100 weitere Menschen mit dem Coronavirus anstecken. Den Modellrechnungen zufolge drückt die Immunisierungsrate die Reproduktionszahl um ungefähr 52 Prozent im Vergleich zu einer völlig ungeschützten Bevölkerung und halbiert sie somit. Die in Österreich dominante Delta-Variante, die wiederum um ungefähr 50 Prozent ansteckender als die davor kursierende Alpha-Variante ist, wirkt dem aber entgegen. "Ohne die Immunisierten wäre die Situation entsprechend schlimmer", so Popper.
Würde aber wiederum der Anteil der Immunisierten noch etwas weiter ansteigen, könnte dies recht rasch zu einer starken Reduktion der Fallzahlen führen, weil dem Virus die jetzt noch zu reichlich vorhandenen infizierbaren Personen ausgehen. Hier brauche es vor allem noch einige zusätzliche Erst- und Zweitimpfungen. Generell sei der Effekt in der Pandemiebekämpfung, den eine möglichst umfassende Immunität in der Bevölkerung bewirken kann, weit größer als Reduktionen, die mit anderen Eindämmungsmaßnahmen erreicht werden, zeigte sich Popper überzeugt.