Die bisher zugelassenen Covid-19-Impfstoffe werden intramuskulär verabreicht. Es ginge aber auch anders, nämlich per Spray über die Nase. Der Virologe Florian Krammer sieht im Gespräch mit der APA auch angesichts der Delta-Variante Potenzial für derartige Vakzine, deren Entwicklung aber noch hinterherhinkt. Dafür spricht der zu erwartende Schutz der oberen Atemwege, was Übertragungen erschwert. Auch als "Booster" ohne Pieks und für Kinder wären sie attraktiv.
Injizierte Impfungen stoßen eine systemische Immunantwort an und führen zur starken Produktion von IgG-Antikörpern, die eigentlich eher spät im Verlauf einer Infektion gebildet werden. Diese Art der Antikörper schützen die unteren Atemwege, also vor allem die Lunge. Das ist im Bezug auf Covid-19 auch der primäre Sinn der Übung. Ebenso bilden sich systemische IgA-Antikörper, nicht jedoch ihre an den Schleimhäuten weiter oben sitzenden Pendants, erklärte Krammer: "Das schützt oft nicht vor Infektionen in den oberen Atemwegsbereichen."
Auch bei frühen Daten aus Tierversuchen mit Covid-19-Vakzinen habe man dies beobachtet. Zu dem Pandemie-Zeitpunkt stand logischerweise der Schutz der Lunge und der anderen Organe bei echten schwereren Erkrankungen im Vordergrund. "Die freudige Überraschung war, dass es bei den mRNA-Impfstoffen auch zu einer 90-prozentigen Reduktion von Infektionen im Generellen gekommen ist", sagte Krammer.
Das lag an sehr hohen IgG-Antikörpertitern nach der Impfung im Blut: "Ein bisschen etwas davon gelangt auch in die oberen Atemwege und in den Speichel." Gehen dann die Titer insgesamt zurück, betrifft das auch diesen Bereich. Somit kann der Schutz vor Infektionen zurückgehen, während jener vor schweren Erkrankungen hoch bleibt.
Da sich offenbar nun die Delta-Variante in den oberen Atemwegsbereichen sehr gut festsetzen kann, "ist das vermutlich jetzt auch Teil des Problems", so der Experte. Es wurde nämlich schon gezeigt, dass für einen kürzeren Zeitraum auch Geimpfte die Delta-Variante mitunter weitergeben können. Krammer: "Wenn man jetzt einen Impfstoff hätte, den man intranasal oder oral geben könnte, dann würde sich eine andere Antikörperantwort bilden."
Es würden "sekretorische IgA-Antikörper" produziert, die aktiv in die oberen Atemwege transportiert werden, und dort den Erreger früh hemmen. Diese Vakzine seien aber leider noch nicht auf dem Markt. Es befinde sich aber der eine oder andere solche Impfstoff in Entwicklung - wenn auch noch in früheren Phasen. Vielversprechend sei etwa ein Vakzin auf Basis von abgeschwächten SARS-CoV-2-Lebendviren vom US-Unternehmen Codagenix, das dabei mit dem Serum Institute of India kooperiert. Es gibt aber auch Ansätze, beispielsweise den AstraZeneca-Impfstoff derart zu verabreichen. An einer kürzlich im Fachblatt "Science Translational Medicine" erschienen Studie von US-Forschern dazu war Krammer beteiligt.
Ebenfalls über die Nase verabreichen könnte man einen Impfstoff, den ein Team um Krammers Kollegen an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, den österreichischen Forscher Peter Palese, entwickelt und testet. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Vektor-Impfstoff, bei dem Teile des SARS-CoV-2-Virus-Erbguts über ein anderes Virus in den Körper gebracht werden. Palese, Krammer und Kollegen verwenden das "Newcastle Disease-Virus" (NDV), das vor allem bei Hühnern die atypische Geflügelpest auslöst und für den Menschen nicht gefährlich ist.
Bisher war es schwierig die nötigen Gelder zum Vorantreiben dieser Ansätze zu bekommen. Angesichts der Entwicklung um aggressivere Varianten und etwaige Auffrischungs- oder Boosterimpfungen könnte die Weiterentwicklung aber Schwung erhalten, so Krammer. Ein Booster, der zu Grundimmunität auch diese sogenannte mukosale Immunität verspricht, wäre interessant. Tests des NDV-basierten Vakzins als Booster würden in Mexiko schon diskutiert. Käme hier der nötige Anschub, glaubt Krammer an mögliche Zulassungen bis Ende des Jahres.
Interessant wäre dieser relativ einfach, günstig und lokal zu produzierende Impfstoff für wirtschaftlich weniger entwickelte Länder, die bisher wenig Dosen erhalten haben. "Da ist ein riesiger Markt da", betonte der Virologe. Hätte man diese psychologisch vielfach attraktive Option ohne Stich, könnte dies in westlichen Ländern etwa für die Verabreichung an Kinder interessant werden.
Möglicherweise würden bei klassisch hergestellten nasalen Impfstoffen auch noch ein paar mRNA-Impfskeptiker zugreifen. "Da lassen sich vielleicht schon noch Leute überzeugen, weil es im Prinzip nichts anderes als der Zecken- oder Influenzaimpfstoff wäre", sagte Krammer.