Der Impffortschritt in Österreich wächst. Und mit den Öffnungen der Nachtgastronomie und der Möglichkeit, wieder große Veranstaltungen abzuhalten wirkt die alte Normalität wieder einen Schritt näher. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nahm das zum Anlass um kürzlich die Pandemie als ein „medizinischen Problem" des Einzelnen und dessen Eigenverantwortung einzuschätzen. Für Geimpfte sei den Aussagen des Politikers zufolge „die Pandemie vorbei“.

Experte ist anderer Meinung 

Epidemiologe Gerald Gartlehner, widersprach dem Kanzler Montagabend in der ZIB 2. Gegenüber Armin Wolf warnte dieser: "Wir müssen jetzt extrem aufpassen, dass wir nicht in eine Lage wie in den Niederlanden kommen, wo sich die Infektionszahlen innerhalb einer Woche versiebenfacht haben." Aber wem soll man nun Glauben schenken? Ist die Pandemie nach der Impfung vorbei, oder bleibt ein Restrisiko bestehen? Und kann eine Impfpflicht die Lösung sein?

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Ein Blick auf Daten und Fakten unterschiedlichster Studien zeigt schnell: Wer geimpft ist, senkt das Risiko schwer an Covid-19 zu erkranken massiv. Der Schutz vor schweren Verläufen und einer damit einhergehenden Hospitalisierung beläuft sich bei den meisten in der EU zugelassenen Vakzinen auf rund 90 Prozent. So sagte auch Markus Zeitlinger, Vorstand der Universitätsklinik für klinische Pharmakologie der MedUni Wien, gegenüber der Kleinen Zeitung: „Die Impfung ist für jede und jeden einzelnen ein großer Schritt, denn schwere Erkrankungen bleiben dann eine seltene Ausnahme. Ein gewisses Restrisiko bleibt aber immer.“

100 Prozent Schutz sind nicht möglich 

Dem stimmt auch Virologin Monika Redlberger Fritz zu: "Es gibt eben keinen 100-prozentigen Schutz. Daher wird es einen kleinen Prozentsatz an Menschen geben, der dennoch erkrankt und eventuell sogar einen schwereren Verlauf hat." Vor allem im Hinblick auf schwere Erkrankungen würde es unter den Geimpften aber bei wenigen Einzelfällen bleiben. Erkrankt eine geimpfte Person doch, dann meist nur mild oder moderat. „Dabei hat sich gezeigt, dass bei Geimpften – sollten sie erkranken – eine deutlich reduzierte Viruslast vorliegt. Damit sind diese Menschen weniger infektiös“, so Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler-Universitätsklinikum.

Wichtig ist derzeit vor allem eine Vollimmunisierung. Denn Studiendaten zeigen, dass nur ein voller Impfschutz auch verlässlich vor der sich ausbreitenden Delta-Varianteschützt. "Jede und jeder der sich impfen lässt hilft mit. Zu Ende ist diese Pandemie aber noch nicht", so Zeitlinger. Solang aber viele Menschen ungeimpft bleiben, verbreitet sich das Virus und hat Zeit und Raum zu mutieren. Aus diesen Gründen steht auch immer wieder eine Impfpflicht – zumindest für bestimmte Berufsgruppen – im Zentrum der Diskussion.  

Impfpflicht für bestimmte Gruppen?

Gartlehner etwa befürwortet eine Impfpflicht in diesem Bereich. "Personal von Krankenhäusern oder Pflegeheimen ist für vulnerable Personen verantwortlich, sie haben eine hohe Sorgfaltspflicht", sagt der Epidemiologe. Demnach sollten sich Gesundheitspersonal auch impfen lassen müssen, dies bringe der Job mit sich. "Eine Ärztin oder ein Krankenpfleger kann etwa auch nicht auf andere Schutzmaßnahmen im Alltag verzichten und sagen ‚Ich desinfiziere mir meine Hände nicht mehr."

Vonseiten der österreichischen Bioethikkommission lautet die Empfehlung, dass die Covid-Schutzimpfung in manchen Bereichen eine Berufsvoraussetzungund daher verpflichtend sein soll. Fakt ist zudem, dass einige Bundesländer, zumindest bei Neuaufnahmen auf eine Covid-Impfung bestehen. Für die Steiermark etwa gilt: Hier werden Bewerber für einen Job in der Landesverwaltung, in Sozial- und Behinderteneinrichtungen, in der steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft und in Bildungseinrichtungen bevorzugt behandelt, wenn sie gegen Sars-CoV-2 geimpft sind. Ähnliches ist auch in Kärnten geplant. 

Das beste Mittel gegen Covid-19

Die wissenschaftliche Begründung für eine Impfpflicht im Gesundheitswesen ist klar: „Die Impfung ist das beste Mittel die Übertragung zu stoppen“, sagt Gartlehner. Eine allgemeine Impfpflicht lehnt er hingegen ab: „Das sollte in einem freien Land nicht notwendig sein.“ Maria Kletecka-Pulker sieht das etwas anders. Sie ist Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und Expertin im Bereich des Medizinrechts.

Eine generelle Impfpflicht sei dann zu diskutieren, wenn die Durchimpfungsrate zu gering sei und durch die Pandemie weiter massive Einschränkungen der Freiheitsrechte notwendig sein sollten. "Meiner Einschätzung nach wäre dann auch eine Impfpflicht vertretbar, da die Impfung gut verträglich ist", so Kletecka-Pulker. Zwei Gründe allerdings sprächen gegen eine solche Impfpflicht: Jener der Selbstbestimmung jeder einzelnen Person sowie jener, dass Zwang auch Ablehnung auslösen könne.+

Hoher Druck für Ungeimpfte

Auch wenn eine generelle Impfpflicht in Österreich aktuell nicht zur Debatte steht, so erhöht sich doch der Druck auf ungeimpfte Personen. Einige Reiseveranstalter lassen nur noch Geimpfte in ihre Unterkünfte vor. Auch die Verschärfung der 3-G Regel steht immer wieder im Raum. Zum einen wird hier die Einschränkung der Antigen-Tests angedacht, etwa dass die sogenannten Wohnzimmertests nicht mehr als Eintrittstests herangezogen werden dürfen, wie es etwa schon in Wien praktiziert wird.

Zum anderen werden mit Kosten verbundene Anreize diskutiert. So sei, laut Gartlehner, vorstellbar, die Corona-Tests nicht mehr kostenfrei zur Verfügung zu stellen. „Irgendwann muss man sich die Frage stellen, wieso die öffentliche Hand diese Tests jenen zur Verfügung stellen sollte, die sich weigern, impfen zu lassen.“