Medizin und Gesellschaft von der Covid-Krise geprägt. Was sollte man aus dieser Zeit mitnehmen?
SIEGFRIED MERYN: Ich hab mitgenommen, dass es noch nie so schnell eine internationale Kooperation zwischen Privatwirtschaft (Pharmazeutische Industrie) und akademischem Bereich gegeben hat. Noch nie war es in nur 12 Monaten möglich – und das ist atemberaubend –, einen Impfstoff zu entwickeln. Ich glaube, man kann das gar nicht genug unterstreichen. Normal hätte so etwas fünf bis zehn Jahre gedauert.

Hat uns die Krise also gezeigt, was im gesundheitlichen Bereich alles möglich wäre?
Das E-Rezept war in drei Wochen möglich, der E-Impfpass in drei Monaten – etwas worauf wir Jahre gewartet haben. Da sieht man: Wenn man will, geht es sehr schnell. Ein nächster wichtiger Schritt wäre: Gesundheitsdaten schnell und gezielt auszuwerten. Da wäre viel mehr möglich. Und hier wäre meine Forderung: Wir brauchen ein neues Gleichgewicht von Datennutzung und Datenschutz. Ich bin ein absoluter Anhänger des Datenschutzes – natürlich haben alle das Recht auf die Selbstbestimmung über die eigenen Daten. Gleichzeitig hat die Covid-Krise gezeigt, wie wichtig Datenaustausch zum Nutzen und Schutz des Lebens ist.

Dr. Siegfried Meryn
Dr. Siegfried Meryn © Kurier (Jeff Mangione)

Es ist jetzt einiges telemedizinisch möglich geworden. Werden diese Dinge bleiben oder laufen wir Gefahr, dass wir wieder einen Schritt zurückgehen?
Diese Gefahr ist groß. Vor allem in ländlicher Umgebung wäre das Beibehalten der Strukturen wichtig. Dinge, wie sich eine Narbe anzuschauen, oder ein Rezept ausstellen, können Ärztinnen und Ärzte auch telemedizinisch machen. Ob das umgesetzt wird, wird davon abhängen, ob den Medizinerinnen und Medizinern die Leistungen auch dementsprechend honoriert werden.

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Welche Neuerungen kann man sich in den nächsten Jahren erwarten?
Was mich sehr beeindruckt hat, ist die Verwendung von 5G. Diese wäre in Österreich noch ausbaufähig. In Barcelona gibt es erste Pilotmodelle, bei denen die Rettung mit 5G ausgerüstet ist. Wenn die Rettungskräfte zu einem Notfall fahren, sind sie mit der Ambulanz oder der Chirurgie via 5G verbunden und bekommen Anweisungen von Spezialistinnen und Spezialisten, die im Spital sitzen. Das ist für mich schon ein großer Nutzen, wenn man gut ausgebildetes Personal hat, das alle Anweisungen in Realtime geben kann, und das dann schon auf den Fall vorbereitet ist, wenn die Patientin oder der Patient ankommt.

Gibt es in Österreich ähnliche Vorstöße?
Es gibt einen Pilotversuch bezüglich der Wundversorgung bei älteren Patientinnen und Patienten in Wien. Das Gesundheitspersonal kommt hier zu den älteren Menschen nach Hause oder ins Pflegeheim. Das Bild von der Wunde wird in Echtzeit an die Spezialisten oder den Spezialisten geschickt und diese geben Anweisungen. So müssen Betroffene nirgendwo hingebracht werden und können zu Hause versorgt werden, – auf höchstem Niveau.

Also werden Arztbesuche in Zukunft seltener notwendig sein?
Ich sage immer: Nicht der Patient wird in Zukunft zur Ärztin gehen, sondern die Ärztin wird zum Patienten kommen – nämlich über die neuen technischen Möglichkeiten.

Vielen Menschen machen derartige Entwicklungen auch Angst. Wie kann man ihnen diese Sorgen nehmen?
Die Krise hat uns eines deutlich gezeigt: Man braucht eine proaktive, transparente und offene Informationspolitik. Menschen haben den berechtigten Wunsch nach mehr Informationen. Man möchte ja alles verstehen, bevor man sich für etwas entscheidet. Man muss die Leute einfach mitnehmen – und das nicht nur während einer Krise, sondern die ganze Zeit. Alle von uns verwenden ein Smartphone und dann muss ich den Menschen erklären: Dort gebt ihr all eure Daten auf Social Media her. Anderswo seid ihr skeptisch. Man muss einen intelligenten Mittelweg wählen.

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