Lockdowns haben während der Pandemie nicht nur das gesellschaftliche Leben praktisch auf Null reduziert, auch in Ambulanzen oder Praxen blieben die Menschen aus. Denn viele Patientinnen und Patienten, die eigentlich regelmäßige Betreuung benötigen, mieden aus Angst vor dem Virus diese Orte. Es ist mittlerweile auch klar, dass ein Gutteil der notwendigen Vorsorgeuntersuchungen in unterschiedlichsten Bereichen aus verschiedenen Gründen aus gefallen sind. 

Was lernen wir aus dieser Pandemie? Wie wird sich unser Gesundheitssystem für künftige Herausforderungen rüsten und wandeln müssen? Und welchen Einfluss spielen hier Digitalisierung und Big Data? Diese und viele Fragen mehr wird aktuell beim Austrian Health Forum in Schladming diskutiert. Und Styria Ethics, eine Initiative von Kleine Zeitung, Die Presse und Furche sowie der FH Joanneum, hat eine Diskussionsrunde dazu am Freitag übertragen. 

Die Diskussion zum Thema „Vertrauen im Gesundheitswesen“ können Sie hier nachsehen. Es diskutieren: Maria Kletecka-Pulker, Werner Leodolter, Elisabeth Klager, Köksal Baltaci.

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"Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen vertretbar"

Eine der Diskussionsteilnehmerinnen, Maria Kletecka-Pulker, Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt sprach mit der Kleinen Zeitung schon im Vorfeld über das Thema Impfpflicht. Das Interview können Sie ebenfalls hier lesen: 

Viele kehren aktuell vom Home-Office in die Büros zurück, Unternehmen möchten über den Impfstatus ihrer Belegschaft informiert sein. Ist diese Frage vertretbar bzw. gerechtfertigt?
MARIA KLETECKA-PULKER: Derzeit ist diese Frage sicher vertretbar, ich würde sogar noch weiter gehen und mir im Pflege- und Schulbereich eine einheitliche, österreichweite Lösung wünschen. Insellösungen sind hier nicht von Vorteil und es ist eine Zumutung, dass diese Frage zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern diskutiert werden muss. Die Empfehlung der Bioethikkommission lautet, dass die Covid-Schutzimpfung in manchen Bereichen eine Berufsvoraussetzung und daher verpflichtend sein soll.

Welche Bereiche sollten das sein und wieso gerade dort?
Wie schon zuvor erwähnt: Der Gesundheitsbereich mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, meines Erachtens sollte aber auch für Lehrerinnen und Lehrer gelten. Der Gedanke dahinter ist, hier handelt es sich um Bereiche, die vulnerable Gruppen aufsuchen müssen, kranke Menschen müssen zum Arzt oder ins Krankenhaus, Schülerinnen und Schüler sind zu großen Teilen nicht geimpft müssen, aber dennoch in die Schule.

Welche Bedenken gibt es bezüglich einer generellen Impfpflicht?
Das ist ein Thema, dass man diskutieren muss, wenn die Durchimpfung zu gering ist und wir aufgrund der Pandemie wieder massive Einschränkungen unserer Freiheitsrechte in Kauf nehmen müssten. Meiner Einschätzung nach wäre dann auch eine Impfpflicht vertretbar, da die Impfung gut verträglich ist. Was aber gegen aber freilich gegen eine Impfpflicht spricht ist die Selbstbestimmung des Einzelnen, die ein zentrales Recht ist. Darüber hinaus wissen wird, dass Zwang Ablehnung auslösen kann. Ich hoffe daher sehr, dass eine Impflicht nicht erforderlich ist und genügend Personen bereit sind, sich impfen zu lassen. Eine umfassende barrierefreie Aufklärung über die Impfung spielt daher eine zentrale Rolle.

Ist es ethisch vertretbar zu sagen, wir müssen auch Kinder impfen, um etwa die Herdenimmunität zu erreichen?
Für die Eltern muss grundsätzlich immer der individuelle Schutz bzw. das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen, anderseits sind Kinder auch Teil der Bevölkerung und der genannten „Herde“ im Sinne einer Herdenimmunität. Zu Bedenken ist darüber hinaus, dass auch Kinder sehr schwer an Covid-19 erkranken können. Interessant ist auch, dass viele Kinder derzeit auch Angst haben, ihre Großeltern oder Verwandte anzustecken und sehen sich selbst als Gefahr.

Ich halte es daher rechtlich als auch ethisch vertretbar bzw. geboten, dass Eltern ihre Kinder impfen, da Eltern das Risiko einer mögliche Coviderkrankung mit dem Risiko eines möglichen Impfschadens abwägen müssen.
Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche wieder einen uneingeschränkten persönlichen Zugang zu Bildung haben müssen für Ihre Weiterentwicklung und Ausbildung. Die Kinder mussten während der letzten Monate auch zahlreiche andere Einschränkungen, als Beispiel ist hier die Schule zu nennen, hinnehmen. Durch das distance learning haben wir viele Kinder verloren. Auch das sollte man bedenken. Eine Impfentscheidung ist immer auch eine Risikoabschätzung und dass diese Abwägung nicht einfach ist, ist auch klar.

Dieses Thema wird in Österreich sehr emotional diskutiert – Impfgegner gegen Impfbefürworter. Wie lässt sich diese Spaltung auflösen?
Es ist richtig, vor allem in dieser Diskussion gibt es fast nur schwarz oder weiß, die Zwischentöne fehlen fast völlig. Wir brauchen diese Zwischentöne aber, um den Zugang zur jeweils anderen Gruppe aufrechtzuerhalten. Ich erlebe auch, dass Impfbefürworter Impfskeptikern mit Herablassung begegnen. Sie versuchen sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu überzeugen, fragen aber nicht „Wovor hast du Angst, wo sind deine Bedenken?“

Welche Lehren können wir aus der Pandemie ziehen, auch in ethisch-medizinischer Sicht?
Hier geht es vor allem um die sichere Verwendung von Daten, die uns medizinisch weiterhelfen im Sinne einer sicheren Behandlung von PatientInnen. Es geht um die Weiterentwicklung der Präzisionsmedizin mithilfe von Daten um die Gesundheit von Einzelpersonen aber auch der Gesellschaft zu verbessern. Zahlreiche Institutionen in Österreich sammeln Daten, aber diese sind nicht verknüpft, also können wir wenig damit anfangen. Wenn Verschwörungstheoretiker wüssten, wie wenig wir aktuell mit dem gesammelten Daten anfangen können, hätten diese keine Bedenken mehr. Aber um ernst zu bleiben: Es braucht in Österreich rasch eine unabhängige Stelle, die gesundheitsbezogene Daten verwaltet und auswertet und das vor allem sicher. Hier ist die Politik gefordert, sie muss handeln.