Sommer, Sonne, Saisonalität. Drei Wörter, die in Bezug auf die Coronavirus-Pandemie mit Gefühlen der Hoffnung verbunden sind. Denn gemeinhin wird erwartet, dass die Infektionszahlen sinken, wenn die Temperaturen steigen. Doch wie groß dieser Effekt der Saisonalität wirklich ist, ist wissenschaftlich nicht restlos geklärt. Aufgrund fehlender Erfahrungen mit Sars-CoV-2, nahm man im Sommer 2020 erst Anleihen an der Influenza. Auch diese sucht die mitteleuropäischen Breiten in Wellen heim. Ein Rückgang der Covid-Infektionszahlen war im vergangenen Jahr während der Sommermonate erwartet worden, und er ist auch eingetreten.
2021 waren viele Expertinnen und Experten in Österreich skeptisch, ob sich der saisonale Effekt ein weiteres Mal so stark zeigen würde. Denn die wärmere Jahreszeit erreichte uns mit dem Abflachen der dritten Welle und das Niveau der Infektionszahlen war um ein Vielfaches höher als im Jahr davor. „Ja, wir sehen einen massiven saisonalen Effekt“, sagte der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems Ende Mai zur Kleinen Zeitung. Wie auch andere war er von der Tragweite des Rückgangs der Infektionszahlen überrascht. Von anderen Coronaviren weiß die Wissenschaft, dass der Effekt der Saisonalität rund 20 Prozent beträgt. Eine wirklich fundierte wissenschaftliche Evidenz in Bezug auf Sars-CoV-2 und die Saisonalität gibt es nicht.
Neue Studie zu Saisonalität
Dieser versuchen sich aber Forscher der Universität Oxford mit einer neuen Studie anzunähern. Erschienen ist diese erst als Preprint, wurde noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht. Der deutsche Virologe Christian Drosten und andere Experten haben sich aber schon positiv über die Methodik dieser Studie geäußert.
Das Team rund um Jan Kulveit kam zu der Erkenntnis, dass die Reproduktionszahl durch den saisonalen Effekt im Durchschnitt um 40 Prozent verringert wird. Demnach sei der saisonale Effekt mit anderen wirkungsvollen, nicht medizinischen Maßnahmen, wie etwa der Schließung von Schulen vergleichbar. Aber die Forscherinnen und Forscher stellen in der Studie auch klar, dass die Saisonalität alleine dennoch nicht als Erklärung dafür ausreicht, dass sich das Virus während der wärmeren Monaten derart stark zurückzieht.
Mehr als eine Erklärung, mehr als einen Faktor
In solch einem komplexen Sachverhalt wie einer Pandemie gibt es nie nur eine Erklärung, nie nur einen Faktor für den Rückgang oder den Anstieg von Neuinfektionen. Es ist Kombination unterschiedlicher Faktoren. Zum einen wären da nicht-pharmazeutische Maßnahmen wie etwas das Tragen von Masken in stark frequentierten Bereichen, Veranstaltungsbeschränkungen oder Abstandsregeln. Zum anderen gibt es auch pharmazeutische Maßnahmen, die in Bezug auf Sars-CoV-2 natürlich hauptsächlich die Impfungen betreffen. Denn auch der Impfeffekt spielt mittlerweile eine Rolle.
Das bedeutet aber auch, dass es trotz eines saisonalen Effekts im Sommer zu größeren Anstiegen der Neuinfektionen bzw. Clusterbildungen kommen kann. Das hat man im letzten Jahr in Brasilien gesehen, als die Gamma-Variante, auch als P.1 bekannt, um sich gegriffen hat. Aktuell sieht man, trotz Sommer einen starken Anstieg in Portugal, vor allem in und um Lissabon, der der Delta-Variante geschuldet ist.
Die Saisonalität und der Herbst
Die Delta-Variante, die um etwa 60 Prozent ansteckender ist, als der Wildtyp von Sars-CoV-2, ist in diese Studie noch nicht eingeflossen. Aber das Forscherteam hat in der Studie gezeigt, dass alle Maßnahmen gegen das Virus zusammengerechnet, immer noch einen größeren Effekt erzielen als die Saisonalität alleine.
Doch ein reduzierter R-Wert um 40 Prozent bedeutet nicht nur Entspannung im Sommer. Er bedeutet auch, dass der Effekt der Saisonalität im Herbst zurückgehen wird. Komplexitätsforscher Peter Klimek gibt zu bedenken: „Wir müssen die Faktoren des Rückgangs verstehen, um die richtigen Schlüsse für den Herbst ziehen zu können.“