Long Covid: derzeit hängt dieser Begriff wie ein Damoklesschwert über der Gesellschaft. Immer mehr Menschen geben an, Wochen nach einer Covid-Infektion an unterschiedlichsten Symptomenzu leiden. Diese reichen von Geschmacksverlust, über Kurzatmigkeit bis hin zu totaler Erschöpfung. Da das Phänomen so vielschichtig ist, fehlt es oft noch an einheitlichen Behandlungsmöglichkeiten. Immer öfter werden spezifische Behandlungszentren gefordert. Die bundesweite Selbsthilfegruppe spricht davon völlig überlastet zu sein – wir berichteten.
Infektionsverlauf nicht ausschlaggebend
Wie genau es zu Long Covid-Symptomen kommt, ist eher unklar. Was man weiß: Die Schwere des Verlaufs in der akuten Phase der Erkrankung ist nicht ausschlaggebend dafür, ob jemand später an Long Covid leidet oder nicht. Das Phänomen tritt sowohl nach schweren wie auch nach milden Verläufen auf. Eher betroffen scheinen Erwachsene – besonders Frauen – zu sein. Aber auch bei Kindern kommt Long Covid vor. Seit kurzem steht für Betroffene vor allem eine Frage im Raum: Wenn die zugelassenen Vakzine eine akute Infektion verhindern können, sind diese dann auch in der Lage Long Covid-Symptome zu mildern oder gar verschwinden zu lassen?
Vorweg: Eine hundert Prozent bestätigte Antwort dazu gibt es aufgrund der Neuartigkeit des Phänomens noch nicht. Aber erste Studien geben Anlass zu Hoffnung. Eine eher kleine Erhebung aus Großbritannien beschäftigte sich mit Long Covid-Betroffenen, die zuvor einen schweren Verlauf durchgemacht hatten. Der Studie zufolge ließ sich bei beinahe 70 Prozent der Patienten eine zumindest leichte Besserung der Symptome nach der Impfung feststellen.
Unterschiedliche Ergebnisse
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie, die rund 900 Long Covid-Patienten untersuchte: 60 Prozent der Patienten gaben im Rahmen der Erhebung an, dass sie sich nach der Impfung besser fühlten. Allerdings vermerkte ein Viertel der Teilnehmer, keine Veränderung der Symptome zu bemerken und beinahe 20 Prozent gaben an, sogar eine Verschlechterung der Situation zu verzeichnen. Derzeit laufen weitere Studien, um hier noch klarere Aussagen treffen zu können.
Liegt eine Besserung nach der Impfung vor, stellt sich die Frage, wie das zustande kommt. Hierzu gibt es unter Mediziner mehrere Theorien. So erklärte Virologin Sandra Ciesek vor kurzem im NDR-Podcast „Coronavirus Update“: „Eine Idee ist, dass im Körper verbliebene Virenreste beseitigt werden, indem das Immunsystem wieder ins Gleichgewicht kommt.“ Somit könnte die Impfung das Immunsystem quasi wieder „reparieren“ oder so etwas wie einen Neustart bewirken. „Das würde zu der Theorie passen, dass es im Darm ein Reservoir von Virusfragmenten oder Virusresten geben könnte“, so Ciesek. Denn durch Zufall wurde bei einem Patienten im Zuge einer Darmspiegelung entdeckt, dass dieser noch Monate nach der Infektion Fragmente des Virus im Dünndarm hatte.
Hilfreich bei Entzündungsprozessen
Auch wenn diese Erklärung hält, stellt sich dennoch die Frage, warum Menschen im Hinblick auf Long Covid unterschiedlich auf die Impfung reagieren. Hierfür hat Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler-Universitätsklinikum, einen Erklärungsansatz: „Geht man davon aus, dass eine Erinnerung des Immunsystems zu einer Beendigung der Symptomatik führen kann, dann spielt das vor allem bei jenen Menschen eine Rolle, bei denen Entzündungsprozesse zu den Beschwerden führen. Bei anderen Ursachen der Beschwerden wäre die Impfung, im Hinblick auf Long Covid, hingegen wahrscheinlich weniger hilfreich.“
Um genau sagen zu können, ob und vor allem wie die Impfung bei Long Covid-Patienten wirkt, braucht es, Sandra Ciesek zufolge, weitere Untersuchungen: „Man muss das auch wirklich in einer kontrollierten Studie machen, wo man einige impft und andere ein Placebo bekommen. Und dann vergleichen, inwieweit das wirklich einen Effekt hat und natürlich auch immunologisch untersuchen, was genau passiert im Körper?“ Zwar sei nicht auszuschließen, dass die Impfung positive Effekte hat, allerdings seien manche Berichte anzuzweifeln: „Manchmal liest man ja, dass dann ein, zwei Tagen nach der Impfung alle Symptome weg seien. Das kann ich mir wiederum auch nicht vorstellen, weil die Impfung einfach gar nicht so schnell zu einer Reaktion des Körpers führt.“ Denn die Antikörper müssen erst einmal mal gebildet werden.
Impfempfehlung
Vor allem jenen Menschen, bei denen die Erkrankung schon weiter zurückliegt und dennoch Symptome vorhanden sind, sei eine Impfung laut Lungenfacharzt Bernd Lamprecht zu empfehlen: „Dadurch erlangt man einen verlässlichen Schutz. Dazu kommt, dass man, wenn das Potenzial besteht, dass die Beschwerden gemildert werden könnten, die Chance ergreifen sollte.“