"Ach, trink doch ein Glaserl mit – Alkohol desinfiziert von innen heraus!“ Selten wurden Sprüche wie dieser öfter verwendet, um die Stimmung zu lockern, als in den vergangenen Monaten. Ein wenig Humor hilft immerhin nachweislich durch schwere Zeiten. Doch wie sah es in den letzten Monaten mit dem Trinkverhalten der Österreicher aus? Hat der Lockdown tatsächlich den Alkoholkonsum in die Höhe getrieben?
Neueste Erhebungen aus Österreich zeigen: Während des Lockdowns gab es zwar Veränderungen im Trinkverhalten, allerdings scheinen sich diese nun weitgehend wieder eingependelt zu haben. Claudia Kahr, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention VIVID, erklärt: „Es gab Menschen, die während des Lockdowns sogar weniger oder gar nicht getrunken haben. Das sind vor allem jene, die Alkohol normalerweise beim Fortgehen oder in Gesellschaft konsumieren.“ Genau anders herum verhielt es sich bei jenen Menschen, die dann trinken, wenn sie unter Stress oder Druck stehen: „Diese Personen neigten eher dazu, während des Lockdowns öfter zu Alkohol zu greifen. Dasselbe gilt für diejenigen, die Alkohol als Mittel gegen Langeweile konsumieren“, so die Expertin.
Alkohol als Stressbewältigungsstrategie
„Gerade in der Krise greifen Menschen auf ihre Strategien zur Stressbewältigung zurück. Ist für jemanden Alkohol die einzige Strategie, so kam diese verstärkt zum Ausdruck“, sagt Kahr. Die Tendenz lässt aber darauf schließen, dass das Trinkverhalten sich bei den meisten – Einzelfälle ausgenommen – auf den Status von vor der Krise einpendeln wird. Abzuwarten gilt es außerdem, wie sich die Gastronomieöffnungen auswirken werden.
Zurücklehnen und Aufatmen heißt das aber nicht unbedingt, denn das Trinkverhalten der Österreicher ist nicht unproblematisch. „Rund fünf Prozent der Bevölkerung sind alkoholabhängig. Weitere zehn Prozent konsumieren Alkohol gesundheitsgefährdend – sowohl in Hinsicht auf die Menge, wie auch die Häufigkeit,“ sagt die Präventionsexpertin. Denn im Schnitt trinkt jeder Erwachsene 12 Liter reinen Alkohol pro Jahr – umgerechnet wären das etwa 240 Liter Bier. „Man muss auch klar sagen: Es gibt keine gesunde Menge Alkohol. Man kann lediglich darauf achten, dass man risikoarm konsumiert.“ Denn 60 Krankheiten stehen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum. Darunter Bluthochdruck, Schlaganfall und Krebs. Je mehr und je öfter man trinkt, desto weiter steigen auch die Risiken an.
Für den Alkoholverzicht rechtfertigen
Doch warum greifen wir Österreicher so gerne zum Glas? „Zum Teil ist dieses Problem sicherlich auch ein gesellschaftliches“, sagt Kahr. Denn bis heute muss man sich eher für den Alkoholverzicht rechtfertigen, als für das eine oder andere Gläschen. „Hier muss sich einiges ändern. Wir sind noch zu weit davon entfernt, dass Nichtrinken keine Fragen mehr aufwirft.“
Ist der Alkoholkonsum fest ins Leben integriert, ist es oft auch schwer zu erkennen, wann die Grenze überschritten wird. Denn je öfter man trinkt, desto mehr Alkohol muss man auch zuführen, um denselben Effekt zu verspüren. Will man selbst überprüfen, ob der eigene Konsum schon problematisch ist, könne man beispielsweise versuchen, eine Zeit ganz auf Alkohol zu verzichten: „Wenn man das dann nicht durchhält, ist das ein Zeichen, dass man sich Hilfe suchen sollte“, so die Expertin.
Rat der Expertin: Nicht wegschauen
Bevor Betroffene aber selbst erkennen, dass sie ein problematisches Trinkverhalten an den Tag legen, sind es oft Angehörige und Freunde, denen dies auffällt. Die Expertin rät dringend davon ab, wegzuschauen, oder das Leiden des geliebten Menschen aus Scham zu vertuschen. „Wichtig ist, so etwas immer anzusprechen.“ Dass das bei einem so sensiblen Thema nicht immer leicht ist, weiß auch Claudia Kahr: „Wichtig ist, dem Betroffenen auf keinen Fall Vorwürfe zu machen. Das endet meist nur im Streit.“ Man solle die eigene Wahrnehmung und die eigenen Sorgen kommunizieren.
„Zentral ist außerdem, dass man im Kopf behält, dass es sich im Ernstfall um keine lästige Angewohnheit, sondern wirklich um eine Sucht handelt“, betont Kahr. Gelingt ein Gespräch nicht, oder weiß man nicht, wie man es am besten angeht, können sich auch Angehörige anonym und kostenfrei bei Beratungsstellen Ratschläge und Unterstützung holen.