Schon innerhalb der ersten 72 Stunden, die ein Baby auf dieser Welt verbringt, spürt es einen kleinen Pieks in der Ferse. Denn in Österreich wird seit vielen Jahren an allen Neugeborenen das sogenannte Neugeborenenscreening durchgeführt. Auf Basis einer Blutabnahme können so 29 seltene Erkrankungen früh erkannt werden. Die Spinale Muskelatrophie (SMA) steht bisher nicht auf der Liste. Eine Petition soll das nun ändern.
Alle Muskeln betroffen
Bei der Spinalen Muskelatrophie handelt es sich um eine genetische Erkrankung. In Österreich werden pro Jahr neun bis zwölf Kinder mit SMA geboren. „Ungefähr zwei Drittel dieser Kinder haben eine sehr schwere Form der Erkrankung, der innerhalb von zwei Jahren zum Tod führt“, Neuropädiater und Präsident der Österreichischen Muskelforschung Günther Bernert. Denn leidet ein Kind an einer schweren Verlaufsform, sind alle Muskeln betroffen. „Diese werden nach und nach schwächer und behindern beispielsweise die Atmung“, so der Experte.
Der Schweregrad der Erkrankung hängt mit dem genetischen Hintergrund des Babys zusammen. Allerdings gibt es mittlerweile drei verschiedene Therapiemöglichkeiten: „All diese Substanzen sind wesentlich wirksamer, wenn sie früher eingesetzt werden. Sie helfen zwar auch noch, wenn man später mit der Therapie beginnt, allerdings zeigt sich der größte Erfolg, wenn die Therapie schon vor Symptombeginn gestartet wird“, sagt Bernet.
Zwei Geschwister, zwei Verlaufsformen
Dass Zeit bei SMA der entscheidende Faktor ist, musste auch Martina Rötzer schmerzhaft erkennen. Die Mutter hat drei Kinder – zwei davon leiden an der seltenen Erkrankung: „Der Zeitfaktor war unser größter Feind. Eines unserer Kinder ist von der Krankheit viel stärker betroffen, weil zu viel Zeit bis zum Beginn der Behandlung verflossen ist.“ Dem Sohn der Familie fehlt vor allem in den Beinen die notwendige Muskelkraft: „Er wird sich immer Fragen müssen: ‚Warum kann meine Schwester gehen und ich nicht? Wir haben doch dieselbe Erkrankung.‘ Und das, obwohl es die notwendigen Therapien gegeben hätte.“
Schicksale wie dieses sind der Grund warum nun eine Petition mit dem Namen "Babys retten" gestartet wurde: Damit soll erreicht werden, dass alle Kinder im Rahmen des Neugeborenenscreenings auf SMA getestet werden. „Technisch ist das Thema bereits gelöst. Auch administrativ, logistisch und finanziell würde dieses Screening keine Hürde darstellen“, so die Neuropädiater. In vielen Ländern weltweit ist das schon etabliert. In Deutschland wurde bis Ende letzten Jahres ein Pilotversuch durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass kein einziger falsch negativer Test zustande kam. Das bedeutet, alle Kinder, die untersucht wurden und an SMA litten, wurden erkannt und konnten schnell behandelt werden.
Auch die Österreichische Kinderliga positioniert sich in diesem Fall klar, wie Geschäftsführerin und Psychologin Caroline Culen zu verstehen gibt: „Wenn man auf die Kinderrechte blickt, steht dort auch geschrieben, dass Kinder ein Recht auf Gesundheit haben – und zwar im erreichbaren Höchstmaß. Ab dem Zeitpunkt, an dem es eine Therapie gibt – und das ist hier der Fall – ist es unsere Pflicht, alles zu tun, dass Kinder diese Behandlung bekommen.“ Zwar gebe es Hürden, aber bedenke man, dass die Behandlungsmethoden ein Leben mit kaum Symptomen ermöglichen, sei es unumgänglich, diese zu überwinden.
Gesetzesänderung notwendig
Aber was genau sind diese Hürden? Das Hindernis, das dem Ziel noch im Weg steht, ist ein gesetzliches. Es bräuchte eine Gesetzesänderung, um SMA im Neugeborenenscreening zu verankern. Denn das Screening würde unter das Gentechnikgesetz fallen: „Dieser Begriff sorgt oft für Bedenken. Diesen liegt aber eine Verwechslung zugrunde, denn dieses Screening greift weder in die Genetik ein, noch verändert es sie“, so Bernet. Es handle sich dabei lediglich um eine andere Methode des Verdachterfassens. Ziel der Petition ist es, 25.000 Unterschriften zu erreichen und damit öffentlich aufmerksam zu machen. Dann soll alles schnellstmöglich an den Gesundheitsminister übergeben werden.