Aber … es ist ein Wort, das in Gesprächen mit Experten dieser Tage häufig fällt. Auf Sätze, die positiv beginnen, fällt dieses Wörtchen und setzt Inzidenzen, Intensivpatienten und Öffnungsschritte in Relation zu einander. „Grundsätzlich denke ich, dass wir über den Berg sind“, sagt Gerald Gartlehner. „Aber leichtsinnig dürfen wir nicht werden“, fügt der Epidemiologe der Donau Universität Krems in Bezug auf die angekündigten Öffnungsschritte Mitte Mai hinzu.
Die Regierungsmannschaft, allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz, spricht optimistisch vom Ende der Pandemie Mitte Mai. Doch dieser Optimismus wird von Experten nur bedingt geteilt. Zu unsicher und auch unterschiedlich ist die Lage in Österreich. Ja, bundesweit gesehen gehen die Zahlen langsam aber doch zurück, jene der Neuinfektionen ebenso wie jene der Intensivpatienten, der R-Wert bewegt sich rund um eins. „Die Situation ist unter Kontrolle, aber wir dürfen es mit den Öffnungsschritten nicht übertreiben“, sagt Komplexitätsforscher Peter Klimek. Im Osten sind die Zahlen, auf hohem Niveau, eher rückläufig, einige Bundesländer wie etwa die Steiermark sind in einer Plateauphase. Bleibt noch der Westen des Landes. Und dieser ist auch der Grund, warum die Experten derart vorsichtig mit ihren Prognosen sind.
Weitere "variant of concern" in Tirol
„Der Ausblick für Tirol ist sehr unsicher“, sagt Klimek. Diese Unsicherheit wird massiv von einer weiteren Virusvariante geschürt: B.1.1.7 samt der Mutation E484K. Diese „Fluchtmutation“ hat ungustiöse Eigenschaften: „Die epidemiologischen Daten zeigen ganz klar, dass sie infektiöser ist als B.1.1.7“, erklärt Ulrich Elling. Der Molekularbiologe zeichnet mit seinem Team (Institut für Molekulare Biotechnologie/ÖWA) für einen Gutteil der Sequenzierungen in Österreich verantwortlich. Zudem bedingt E484K, dass diese Variante den Impfschutz umgehen kann. Was in weiterer Folge bedeutet, dass die Wirksamkeit der aktuellen Impfstoffe gegen diese Variante herabgesetzt ist.
B.1.1.7+E484K hat sich mittlerweile über ganz Tirol ausgebreitet, rund 1800 Fälle dürfte es geben. Womit wir zurückkommen zur Unsicherheit: „Weil wir noch nicht genau sagen können, inwieweit diese Variante den Impfschutz umgeht, müssen wir sehr vorsichtig sein“, mahnt Elling. Denn eine Eindämmung, wie sie bei B.351, also der südafrikanischen Variante, gelungen ist, ist hier aufgrund der fortgeschrittenen Verbreitung nicht mehr möglich. „Tirol ist näher am Lockdown als am Aufsperren“, sagt Elling.
Virologe Andreas Bergthaler im Ö1-Morgenjournal am Freitag zur Virusmutation: „Warum das bedenklich ist? Weil gezeigt wurde, dass diese Fluchtmutation dazu führt, dass Antikörper das Virus schlechter abtöten können und das könnte in weiterer Folge dazu führen, dass es zu vermehrten Reinfektionen kommt.“ Dieses Virus würden den Impfungen stärker trotzen. Wichtige Studien im Labor würden suggerieren, dass Antikörper, die das Virus töten, sechs- bis zehnfach weniger effektiv seien. Auf die Wirklichkeit sei das schwierig umzulegen.
Jeder, der geimpft sei, habe eine unterschiedliche Immunantwort und unterschiedliche Antikörpertiter. Es könne sein, dass gerade die Personen, die besonders niedrige Antikörpertiter hätten, gefährdeter seien, wiederinfiziert zu werden, obwohl sie schon einmal eine Infektion hatten oder geimpft seien.
Vorarlberg: Modellregion als Sorgenkind
Wie schnell sich die Situation drehen kann, zeigt das Beispiel Vorarlberg. Als Testregion mit Gastro-Öffnungen und einer verstärkten Teststrategie am 15. März gestartet, haben sich die Coronafälle vervierfacht. Was bedeutet, dass die Teststrategie nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat. Mit dem vermehrten Testen ist der Anstieg nicht zu erklären, denn auch die Rate der positiven Tests ist während der letzten zehn Tage stark gestiegen. Was aber genau den Anstieg in Vorarlberg verursacht, ob es die Öffnung der Lokale war oder die vermehrte Ausbreitung von B.1.1.7, kann nicht genau gesagt werden. Genau diesen Blindflug kritisieren Experten, denn die Lockerungen wurden nicht wissenschaftlich begleitet. „Wir fischen seit einem Jahr im Trüben und dann wird am Ende wieder nur undifferenziert zugesperrt“, sagt Gartlehner in Richtung Politik.
Das Infektionsgeschehen schwankt: Waren zuletzt die östlichen Bundesländer Sorgenkinder und haben sich einen Lockdown verschrieben, ist es nun wieder der Westen mit Tirol und Vorarlberg, der Sorgenfalten bereitet. Sobald sich die Lage etwas entspannt, wird über Öffnungen gesprochen. Und getätigte Öffnungen werden bei einer negativen Entwicklung auch nicht zurückgenommen. Kommen die Ankündigungen für die Öffnungsschritte im Mai also zu früh? „Nein“, sagt Gartlehner. „Aber diese Schritte müssen vorsichtig erfolgen.“ Auf keinen Fall dürfe alles auf einmal aufgemacht werden.
Entspannter Sommer möglich, aber ...
Die frühlingshaften Temperaturen, also der saisonale Effekt und auch der Fortschritt der Impfkampagne, sollten helfen, die Infektionszahlen zu drücken. Und auch einen entspannten Sommer ermöglichen. Aber nur, wenn Bevölkerung und Politik in den kommenden Wochen konsequent handeln. Sollte sich die Variante B.1.1.7+E484K über Tirol hinaus verbreiten, könnte sich die Situation rasch wieder umkehren. Elling etwa plädiert für weitere Social-Distancing-Massnahmen. „Ein entspannter Sommer kann sich schon ausgehen, aber nur, wenn wir zuerst unsere Hausaufgaben machen und die Inzidenz senken.“ Und da ist es wieder, das Wörtchen „aber“.