1. Wie verbreitet sind die mutierten Virus-Varianten in Österreich?
Die Datenqualität ist in den Bundesländern unterschiedlich, Andreas Bergthaler, Mutationsforscher am Cemm, hat nun einen Überblick zusammengestellt, der zeigt: „Es gibt ein Ost-West-Gefälle der britischen Virus-Variante.“ Während in Niederösterreich der Anteil der durch PCR-Tests oder Sequenzierungen gefunden britischen Virusvariante in den letzten Wochen von 15 Prozent auf 71 Prozent gestiegen ist, wurde die britische Variante in Vorarlberg in weniger als einem Prozent der Proben entdeckt. „Insgesamt können wir aber sagen: Die Zahlen der britischen Virusvariante nehmen in Österreich stark zu – die neue Variante verdrängt kontinuierlich die herkömmlichen Coronaviren“, sagt Bergthaler. In der Steiermark stieg der Anteil der Virus-Variante von 3,5 Prozent in Stichproben Mitte Jänner auf mittlerweile 26 Prozent an.
2. Was bedeutet die Ausbreitung der britischen Virusvariante für das Infektionsgeschehen in Österreich?
Bergthalers Einschätzung ist, dass die britische Variante zumindest in jenen Gebieten, wo sie jetzt schon verbreitet ist, innerhalb der nächsten Wochen die Überhand gewinnen wird: „Im Burgenland stieg die Häufigkeit innerhalb des Jänners von einem Prozent auf 40 Prozent– es wird also keinen weiteren Monat brauchen, bis die mutierte Variante komplett dominiert“, sagt Bergthaler. Das bedeutet in der Folge: Die Infektionszahlen werden unweigerlich ansteigen, denn es ist belegt, dass die britische Virusvariante um 30 bis 70 Prozent ansteckender ist als das „herkömmliche“ Coronavirus. Es gibt Hochrechnungen, die davon ausgehen, dass die neue Virusvariante acht Mal mehr Infektionen innerhalb eines Monats auslöst als die bisher zirkulierenden Coronaviren. „Die Erfolge, die wir durch den Lockdown hatten, wurden schon jetzt durch die Varianten ‚aufgefressen‘“, sagt Bergthaler.
3. Sind die kommenden Lockerungen des Lockdowns vor diesem Hintergrund vertretbar?
„Aus rein virologischer Sicht: nein“, sagt Bergthaler: Die Infektionszahlen sind gleichbleibend hoch, die Verbreitung der Varianten nimmt zu. „Was wir jetzt eigentlich bräuchten, wäre ein möglichst strenger Lockdown, denn umso niedriger die Infektionszahlen, desto leichter tun wir uns beim Nachverfolgen der Infektionen, im Gesundheitssystem und desto besser können wir neue Virus-Varianten unter Kontrolle halten.“ Denn es gilt auch: Je mehr Virus zirkuliert, desto größer das Risiko für die Entstehung neuer Virus-Mutationen. „Die Strategie No-Covid klingt zwar radikal, aber es wäre schon sinnvoll, sich ein paar Wochen sehr anzustrengen und die Zahlen massiv zu senken.“ Bergthalers Vermutung: Auch ohne Lockerungen wären die Infektionszahlen in Österreich in den nächsten zwei bis drei Wochen aufgrund der ansteckenderen Virus-Variante angestiegen – wie sich die Situation nun mit Lockerungen entwickelt, werde sich zeigen.
4. Die britische Virus-Variante ist ansteckender – was ist über die andere Mutanten aus Brasilien und Südafrika bekannt?
„Die Varianten aus Südafrika und Brasilien sind deutlich besorgniserregender“, sagt Bergthaler: Hier gebe es nämlich starke Hinweise, dass diese Varianten gegenüber den aktuellen Impfungen deutlich resistenter sind als die britische Virus-Mutation. Das zeigen nun auch Wirksamkeitsdaten der Firmen Novavax und Johnson & Johnson: Beide Impfstoffe zeigten in Studien in Südafrika eine deutlich geringere Wirksamkeit als in den USA bzw. Großbritannien. „Gleichzeitig könnten auch die Re-Infektionen zunehmen“, sagt Bergthaler, weil das menschliche Immunsystem das Virus nicht mehr so gut erkennt. Und auch für die britische Virus-Variante gibt es eine besorgniserregende Entdeckung aus Großbritannien: Wie englische Behörden berichten, hat sich die britische Mutante genetisch bereits weiter verändert und trägt nun auch jene Mutation der südafrikanischen und brasilianischen Mutanten, die es dem Immunsystem schwerer macht, das Virus zu erkennen.
5. Sind diese Varianten auch schon in Österreich angekommen?
„Die brasilianische Variante haben wir in Österreich noch nicht gefunden, von der südafrikanischen Variante gibt es eine auffällige Häufung in Tirol“, sagt Bergthaler. Wie die Virologin Dorothee von Laer berichtet, hat sich die Südafrika-Variante in Tirol bereits wieder weiterverändert, es gebe damit schon einen „Tiroler Subtyp“ dieser Variante.
6. Was bedeutet Mutationen für den weiteren Pandemie-Verlauf?
„Es wird ein ständiger Wettlauf zwischen dem Virus und der Weiterentwicklung von Impfungen werden“, sagt Bergthaler. Wichtig sei auch zu verstehen, wie diese Virus-Varianten in so kurzer Zeit so viele Mutationen sammeln konnten: Noch immer ist die Vermutung, dass die Varianten durch Patienten entstanden sind, die ein unterdrücktes Immunsystem haben und das Virus daher Monate in sich trugen – und damit als „Evolutionsbeschleuniger“ wirkten. „Wie können wir so etwas in Zukunft verhindern?“, ist eine zentrale Frage für Bergthaler. Klar sei auch: Durch die weltweiten Impfkampagnen werde der Selektionsdruck auf das Virus größer – und neue Mutanten könnten kommen.