Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte zuvor den Einsatz des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca abgesegnet. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA empfahl am Freitag eine bedingte Zulassung des Impfstoffs ab 18 Jahren. Die finale Entscheidung muss nun von der Europäischen Kommission gefällt werden. Diese gilt als Formsache. Es wäre damit der dritte in der Europäischen Union zugelassene Covid-19-Impfstoff nach den Mitteln von Biontech/Pfizer und Moderna.
Eine Altersobergrenze nannte die EMA nicht. Die Behörde wies aber darauf hin, dass es noch nicht genügend Daten über die Wirksamkeit des AstraZeneca-Präparats bei älteren Menschen gebe, um zu beurteilen, wie effektiv es bei diesen sei.
Pascal Soriot von AstraZeneca antwortet auf die Frage nach der Sicherheit für ältere Personen wie folgt: "In Ländern, die unseren Impfstoff bereits anwenden, gibt es keine Probleme. Dort werden Menschen aller Altersgruppen geimpft. Es gibt also keinen Grund zur Annahme, dass ältere Gruppen nicht ausreichend geschützt sind. Aber die Datenlage ist noch etwas geringer, weil ältere Menschen im Moment besonders vorsichtig sind. Bald gibt es mehr Daten aus Brasilien und Großbritannien, die dies untermauern werden."
"Impfstoff ist besser als sein Ruf"
Die ständige Impfkommission in Deutschland, kurz STIKO, bleibt auch nach Zulassung des Impfstoffs von AstraZeneca durch die EMA für alle Altersgruppen ab 18 Jahre bei einer anderen Einschätzung: Für Deutschland wird dieser Impfstoff nur bis zu einem Alter von 65 Jahren empfohlen. „Wir beurteilen damit aber nicht die Qualität des Impfstoffs, sondern nur die Qualität der Daten, die uns vorliegen“, unterstreicht Thomas Mertens, Vorsitzender der STIKO, bei einem Gespräch mit Journalisten.
Die Daten für die Altersgruppe ab 65 Jahren seien einfach zu dünn für eine Empfehlung – es könne aber sein, dass die Empfehlung bald geändert werde, wenn mehr Daten zu dieser Altersgruppe vorliegen. Insgesamt sei AstraZeneca in den Zulassungsstudien „unordentlicher“ vorgegangen als andere Hersteller: Es gab ja bekannterweise unterschiedliche Impfprotokolle in unterschiedlichen Ländern, das mache die Bewertung schwieriger. Mertens sagt, er sei über das Vorgehen der EMA, keine obere Altersgrenze einzufügen „nicht glücklich“, da ja auch die EMA eine Warnung in die Zulassung eingefügt hätte, wonach die Datenlage für die Altersgruppe ab 55 Jahren schwach sei. „Es besteht aber kein Zweifel an der Sicherheit des Impfstoffs“, unterstreicht Mertens.
„Heute ist ein guter Tag, denn wir haben einen dritten Impfstoff“, sagte Clemens Wendtner, Leiter der Infektiologie in München Klinik Schwabing. Und: „Leider müssen wir mittlerweile über den AstraZeneca-Impfstoff sagen: Der Impfstoff ist besser als sein Ruf.“ Der Impfstoff sei geprüft, er ist verträglich und sicher – „das ist die wichtige Botschaft“, so Wendtner, der durch die Altersgrenze eine Chance für jüngere Menschen sieht, früher als ursprünglich vorgesehen eine Impfung zu bekommen.
Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln sagt zur EMA-Zulassung: „Die Zulassung der EMA für alle Altersklassen erscheint mir aufgrund der zitierten Ergebnisse berechtigt. Auch wenn die Daten zu Personen älter als 55 Jahre dünn sind, heißt das nicht, dass der Impfstoff hier nicht wirkt."
Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg: „Es gibt noch einige offene Fragen, aber die Vakzine hat in großen Phase-III-Studien eine Wirksamkeit von insgesamt 66 Prozent gezeigt und die Sicherheit und Verträglichkeit war gut. Die offenen Fragen sind die der optimalen Dosierung und der Wirksamkeit bei Älteren. Da in den Studien aus Großbritannien und Brasilien nur wenige Patienten - etwa zwölf Prozent - über 55 Jahren eingeschlossen worden sind, ist die Wirksamkeit bei Älteren bisher nicht gut beurteilbar.“
Erste Zulassung in Großbritannien
Als weltweit erstes Land hatte Großbritannien das Vakzin von AstraZeneca zugelassen. Der Impfstoff erhielt seitdem bereits in einer Reihe anderer Länder eine Notfallgenehmigung, darunter in Indien, Argentinien, Mexiko oder Marokko. Die Europäische Kommission hat einen Kaufvertrag über bis zu 400 Millionen Dosen des Vakzins unterschrieben. Allerdings ist zwischen der EU und AstraZeneca ein Streit wegen Lieferproblemen entbrannt.
Ungeklärt ist noch immer, wie viele Impfdosen von AstraZeneca geliefert werden können. Im Streit mit der EU-Kommission beruft sich das Unternehmen auf Produktionsprobleme. In Großbritannien wird das Präparat bereits seit Jänner eingesetzt.
Panne beim Schwärzen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen pochte am Freitag auf mehr Impfstofflieferungen. "Es gibt verbindliche Bestellungen und der Vertrag ist glasklar", sagte sie am Freitag im Deutschlandfunk. Darin würden ganz klare Liefermengen für das erste, zweite und dritte Quartal genannt und die Produktionsstandorte dafür. Das Unternehmen habe für die drastische Reduzierung der Liefermenge keinen nachvollziehbaren Grund angegeben und müsse seine Lieferverpflichtungen erfüllen.
In dem Impfstoffstreit veröffentlichte die EU-Kommission am Freitag ihren Rahmenvertrag mit AstraZeneca. Dabei unterlief ihr jedoch eine schwere Panne. Die auf Wunsch des Unternehmens geschwärzten Passagen in dem Dokument waren in einer ersten Version über die Lesezeichen-Funktion des Acrobat Readers lesbar. Es handle sich um einen technischen Fehler, hieß es aus Kommissionskreisen. Die veröffentlichte Version wurde später ersetzt.
Neue Impfstoffkandidaten
Der Vertrag sieht jedenfalls eine mögliche Produktion von Corona-Impfstoff für die EU auch in Großbritannien vor. AstraZeneca hatte die angemeldeten Schwierigkeiten bei Lieferungen in die EU mit Produktionsproblemen in Belgien begründet. Doch aus dem am Freitag veröffentlichten Vertragswerk geht hervor, dass das britisch-schwedische Unternehmen nicht nur in der EU, sondern auch im Vereinigten Königreich produzieren sollte.
AstraZeneca hat große Mengen des Impfstoffs in Großbritannien hergestellt, wo die Immunisierung der Bevölkerung deutlich weiter fortgeschritten ist als in der EU. Das Unternehmen erklärte, es sei durch einen Vertrag mit der Londoner Regierung dazu verpflichtet, Impfstoffe aus britischen Fabriken erst dann ins Ausland - einschließlich der EU - zu exportieren, wenn die britischen Aufträge vollständig abgearbeitet sind.
Die Europäische Union ging zudem am Freitag einen Schritt weiter in der Kontrolle der Covid-Vakzinen. Die EU kann künftig die Exporte von Corona-Impfstoffen überwachen und gegebenenfalls beschränken. Die EU-Kommission habe am Freitag eine entsprechende "Ausfuhrgenehmigungspflicht" beschlossen, sagte der für Außenhandel zuständige Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in Brüssel. Alle Pharmakonzerne, die mit der EU Lieferverträge über Corona-Impfstoffe abgeschlossen haben, müssen demnach künftig Lieferungen an Drittstaaten in Brüssel anmelden.