Nur eine Impfstoffdosis anstatt zwei – um damit möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit impfen zu können: Da der Impfstoff gegen Covid-19 knapp ist, scheint diese Idee verlockend. Als Großbritannien vor einigen Tagen dem Impfstoff von AstraZeneca und der Universität Oxford eine Zulassung erteilte, empfahl der Ausschuss für Impfstoffe gleichzeitig, zunächst möglichst vielen Menschen vorerst nur eine Impfdosis zu verabreichen. Die zweite Dosis könne dann innerhalb von zwölf anstatt nach zwei Wochen folgen – um eine schnellere flächendeckende Impfung der Risikogruppen zu erreichen. Ist das auch ein gangbarer Weg für Österreich? Das haben wir Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der MedUni Wien und Impfexperten Herwig Kollaritsch gefragt.
„Diese Idee hatten natürlich viele Experten, auch ich, als die Daten aus den Studien erstmals präsentiert wurden“, sagt Zeitlinger – jedoch gebe es sehr viele „Wenns und Abers“. So müsse man sich die Studiendaten für jeden Impfstoff genau anschauen: Für den Impfstoff von Biontech/Pfizer ist daraus bekannt, dass nach der ersten Impfdosis eine Schutzwirkung von 50 Prozent auftritt, nach der zweiten Impfung liegt diese Schutzwirkung bei 95 Prozent. Aber: „Daten zur Schutzwirkung nach der ersten Impfdosis liegen nur von jenen wenigen Studienteilnehmern vor, die sich zwischen den beiden Impfdosen infiziert haben“, sagt Zeitlinger – alle anderen hätten ja eine zweite Impfdosis erhalten. So sei aufgrund dieser Datenlage völlig unklar, ob sich die Immunität nach der ersten Dosis erst aufbaut und größer wird oder ob eine einzelne Impfdosis keine anhaltende Immunität auslöst. „Darauf waren die Studien nicht ausgelegt, daher müssen wir hier sehr vorsichtig sein“, sagt Zeitlinger.
Daten-Wirrwarr bei AstraZeneca-Impfstoff
Etwas anders ist die Situation beim Impfstoff von AstraZeneca und der Uni Oxford,der in der EU bislang noch keine Zulassung hat. Hier kam es in den Zulassungsstudien zu einem „Fleckerlteppich“ an verschiedenen Studiendesigns, Experten sprechen auch von einem Daten-Chaos – was nun aber gewisse Rückschlüsse zulässt.
Was war passiert? In den Studien in unterschiedlichen Ländern wurden unterschiedliche Dosen verabreicht: verschiedene Altersgruppen in mehreren Ländern, unterschiedliche Dosierungsmengen und verschiedene zeitliche Intervalle in der Verabreichung. Somit sei ein direkter Vergleich schwierig gewesen. "Und das macht es auch für die Zulassungsbehörden schwierig", sagte Zeitlinger. "Denn am Ende stehe ich da und habe einen relativen großen Pool an Daten in relativ kleinen Subgruppen."
Bei der Verabreichung von zwei vollen Dosen, zeigte sich eine Wirksamkeit von 62 Prozent, bei der Verabreichung von zunächst nur einer halben Dosis und dann einer vollen wurden 90 Prozent erreicht. Ein Ergebnis, für das „jegliches Rational fehle“, sagt Zeitlinger. Auch waren die zeitlichen Abstände zwischen den beiden vorgesehenen Impfdosen unterschiedlich: In manchen Settings wurde die zweite Dosis nach zwei Wochen, in anderen erst nach zwölf Wochen verabreicht – „weil es zu Produktionsschwierigkeiten kam“, sagt Zeitlinger.
Durch dieses Wirrwarr gibt es für den AstraZeneca-Impfstoff nun aber einige Daten zur Wirksamkeit, wenn die zweite Dosis erst nach zwölf Wochen verabreicht wird. „Wie sehr man sich darauf verlassen will, ist aber fraglich“, sagt Zeitlinger.
Strenges Impfprotokoll
Für den Experten stellt sich die Frage einer verzögerten zweiten Impfung in Österreich sowieso nicht. Bisher ist nur der Impfstoff von Biontech/Pfizer zugelassen und für diesen gibt es ein strenges Impfprotokoll, wie Zeitlinger sagt: Die Studienteilnehmer erhielten die zweite Impfdosis nach 21 Tagen, mit einem sehr engen Fenster für Abweichungen. „So wurde der Impfstoff von den Behörden zugelassen und so sollte er auch verabreicht werden, das ist auch juristisch verpflichtend“, sagt Zeitlinger. Jede andere Verabreichung wäre ein sogenannter off-label use, von dem der Experte jedenfalls abrät.
Ganz ähnlich sieht das auch Herwig Kollaritsch, Mitglied der österreichischen Impfkommission. Aus logistischer Sicht hält er es in Österreich gar nicht für machbar, so vielen Menschen gleichzeitig eine Impfdosis zu verabreichen: „Wir haben im Moment mehr Impfstoff als wir impfen – wozu also sparen?“ Wichtiger ist für den Mediziner aber der wissenschaftliche Standpunkt: „Die Impfung wurde auf Basis der Studiendaten zugelassen – für eine andere Anwendung haben wir keine Daten“, sagt Kollaritsch – und hier ergibt sich für ihn auch eine ethisch höchst strittige Situation: „Wollen wir wirklich gerade der verletzlichsten Gruppe der Hochrisikopatienten nur eine Impfdosis geben und riskieren, dass sie nicht ordentlich geschützt sind und vielleicht trotzdem schwer erkranken?“, sagt Kollaritsch. Für den Biontech/Pfizer-Impfstoff gebe es einfach viel zu wenig Daten zur Wirksamkeit nach Impfdosis 1.
Die Situation in Großbritannien, wo das Virus zunehmend außer Kontrolle gerät und mit AstraZeneca bereits ein anderer Impfstoff zugelassen ist, sei auch eine andere als in Österreich.