Herr Penninger, wenn wir zurückblicken: Wann wussten Sie, dass dieses Coronavirus zum Problem wird?
Josef Penninger: Ich arbeite seit vielen Jahren an Viren, dass Viren von Tieren auf Menschen springen, passiert ja ständig. Anfang 2020 war klar, es gibt ein neues Virus, das eine Lungenerkrankung auslösen kann. Aber das Ausmaß, das diese Pandemie annehmen wird – das hat keiner geahnt. Als am 10. Jänner die genetische Information des Virus online verfügbar war, wusste ich, dass dieses Virus schwerwiegender ist. Mir war auch klar: Der Rezeptor ACE2, den ich vor vielen Jahren mitentdeckt habe, muss die Tür sein, über die uns das Virus infiziert. Da ist bei mir die Glühbirne aufgegangen: Die Forschung, die wir vor 20 Jahren begonnen haben, war plötzlich brandaktuell. Ich habe von Anfang an darauf hingewiesen, dass wir dieses Virus nicht unterschätzen dürfen. Es löst über den ACE2-Rezeptor schwere Organerkrankungen aus, das sind ganz andere Mechanismen als zum Beispiel bei der Grippe.
Seit einem Jahr hält uns dieses Virus im pandemischen Würgegriff: Was macht es so erfolgreich?
Ein Faktor ist unser modernes Leben: Viele Menschen leben auf engem Raum zusammen, wir reisen um die ganze Welt – ein Virus kann sich wahnsinnig schnell ausbreiten. Dazu kommt: Viren, die nur infektiös sind, wenn jemand krank ist, sind schlimm, aber die kann man schnell kontrollieren. Wenn Ebola in Wien ausbrechen würde – das hätten wir schnell unter Kontrolle, weil man nur ansteckend ist, wenn man krank ist. Dieses Coronavirus ist viel ansteckender als das erste Sars-Virus: Es gibt Studien, die sagen, 40 Prozent der Menschen, die infiziert sind, haben keine Symptome. So hat man den sprichwörtlichen perfekten Sturm: Menschen fliegen um den Erdball, tragen das Virus in sich, wissen aber nichts davon. Dieses Coronavirus hat alles, was es für eine Pandemie braucht – und clevere Tricks.
Zum Beispiel?
Wir haben im Körper einen ,Sensor‘, der die Sauerstoffsättigung misst. Aber Sars-CoV-2 kann diesen Sensor abschalten: In der Folge sind Erkrankte blind dafür, dass die Sauerstoffsättigung im Körper zu gering ist. Menschen merken nicht, dass sie sehr krank sind. Daher muss man früh die Sauerstoffsättigung der Patienten messen.
Zu Beginn der Pandemie schaute die westliche Welt ungläubig auf die extremen Maßnahmen zur Viruseindämmung in China. Nun ist Österreich im dritten Lockdown: Hätten wir das verhindern können?
Es hat sich gezeigt: ,Weiche‘ Lockdowns funktionieren nicht, wenn man nicht zusätzlich Maßnahmen trifft. Das heißt: Wir müssen testen, ständig testen. Ich habe ein Labor auf einem Campus in Österreich, dort haben wir seit Monaten Teststraßen, jeder wird zwei Mal pro Woche getestet. So konnten Fälle so früh gefunden werden, dass es keinen Ansteckungsfall am Campus gab. Wir hätten Lockdowns verhindern können, wenn wir Teststraßen aufgebaut hätten.
Dieses Virus hört nicht auf uns zu überraschen, im Moment hält eine neue Virusmutation Europa in Atem. Was könnte uns noch blühen?
Mutationen entstehen ständig: In jedem Infizierten entstehen Millionen von Viren, notgedrungen passieren bei diesen Kopiervorgängen Fehler. Bisher kennen wir etwa 12.000 Mutationen des ursprünglichen Virus. Die meisten der Mutationen tun nichts, manche haben sich durchgesetzt. Genetische Mutationen passieren immer, sie helfen, dass sich Organismen an ihre Umwelt anpassen. Viele dieser Mutationen sind egal. Aber wenn sich die Umgebung ändert, kann es sein, dass sich eine der Mutationen plötzlich durchsetzt, sie werden relevant. Es kann gut sein: Wenn wir die Bevölkerung durchimpfen, könnten sich Virusvarianten durchsetzen, die jetzt noch keine Rolle spielen. Das heißt: Mit der Impfung ist es leider nicht getan, wir müssen weiterhin genau hinschauen.
Läutet die Impfung nun die Trendwende ein?
Die Impfung ist essenziell – und dass es so schnell gegangen ist, ist der Wissenschaft zu verdanken. In den letzten Jahren wurden tolle Technologien entwickelt, die das möglich gemacht haben. Wir dürfen aber nicht glauben, dass mit den ersten Impfstoffen alles erledigt ist. Denn: Unser Immunsystem in Nase und Rachen ist anders aufgesetzt als im Rest des Körpers. Daher ist es wichtig, auch Impfstoffe zu entwickeln, die man über die Nase verabreichen kann. Es kann durch Mutationen auch Virusvarianten geben, die dem Impfstoff entkommen. Impfstoffe sind essenziell, aber nicht die ultimative Lösung. Wir brauchen auch Medikamente für Menschen, die schwer erkranken, wir brauchen Maßnahmen wie Teststraßen, dann kriegen wir das unter Kontrolle.
Werden Sie sich impfen lassen?
Ja, absolut!
Stichwort Medikamente: Wie steht es um den sogenannten Penninger-Wirkstoff?
Noch kennt keiner die Daten, da die Studie doppelt verblindet ist – Mitte Februar sollten wir die ersten Ergebnisse haben. Aber die Wissenschaft und die Biologie sagen uns: Das sollte das rationalste Medikament sein.
Die Pandemie wirkte wie ein Teilchenbeschleuniger für die Wissenschaft: Was kann die Welt daraus lernen?
Die Welt hat in der Pandemie entschieden: Wir machen dieses eine Forschungsprojekt – es zeigt, was mit dieser Kraft möglich ist, auch für zukünftige Projekte, die wir angehen wollen. Ich hoffe, die Politik lernt daraus und sagt: Wissenschaft ist uns wichtig. Es braucht neue Finanzierungsmodelle für Technologien, die verhindern, dass wir in ein paar Jahren die nächste Pandemie erleben.
Wie können wir ein nächstes Mal verhindern?
Wahrscheinlich war das gar nicht die erste Pandemie mit einem Coronavirus, die Pandemie 1889 wurde wohl durch ein anderes Coronavirus ausgelöst. Wir müssen jetzt die Schwachstellen der Viren entdecken, die in Zukunft auf den Menschen springen könnten. In Fledermäusen gibt es mindestens 20 weitere Viren, die können, was Sars-CoV-2 kann. Außerdem fördert der Klimawandel, dass Moskitos nach Europa wandern, die Viren mit sich bringen. Wir können nicht versprechen, dass es nicht wieder passiert, aber wir können besser vorbereitet sein: indem wir schon Medikamente und Impfstoffe in der Schublade haben, wenn es zu einer neuen Pandemie kommt.