Im ersten Lockdown wurde das ganze Gesundheitssystem in Österreich heruntergefahren - damit auch die Krebsvorsorge. „Auch wir mussten erst lernen, wie wir mit dieser Pandemie umgehen“, sagt Wolfgang Hilbe Präsident der Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie. Für den Experten ist die Pandemie die größte Gesundheitskrise seit der Influenzawelle 1918.

Kollateralschäden könnten in einer solchen Zeit auch im Gesundheitswesen auftreten – vor allem bei Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen wie Krebs. „Wir müssen jetzt darauf aufmerksam machen, dass Krebsversorgung auch während einer Pandemie essenziell ist“, sagt Hilbe. Man wolle auch in dieser Zeit das Beste für seine Patienten geben.

Dass viele Teile des Gesundheitssystems im ersten Lockdown auf Minimalbetrieb waren, zeigen auch die Zahlen. So gab es einen drastischen Rückgang der Tumordiagnosen weltweit. Eine US-amerikanische Untersuchung belegt einen durchschnittlichen Rückgang der Tumordiagnosen von mehr als 46 Prozent im Frühjahr. Besonders ausgeprägt war dabei die Reduktion bei Mammakarzinomen.

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Pathologen in Österreich bestätigten das. Es gab einen Rückgang von rund 30 Prozent in Bezug auf die eingehenden Proben. In England ergab eine darauf bezugnehmende Modellrechnung, dass in Folge die Sterblichkeit bei Brustkrebs in den nächsten fünf Jahren um bis zu 9,6 Prozent ansteigen könnte – bei Darmkrebs sogar um 15 bis 17 Prozent.

Aber wie erging es österreichischen Patienten und Ärzten im ersten Lockdown? Um das festzustellen wurden einige Erhebungen durchgeführt. Das medizinische Personal nahm zu 76 Prozent einen Rückgang der Onkologieleistungen wahr. Als Grund dafür, wird vor allem der eingeschränkte Zugang zu Screenings und Vorsorgeuntersuchungen angegeben. Auch Punktionen und Operationen mussten verschoben werden und der Zugang zu Reha-Angeboten war stark eingeschränkt.

Die Ärzte nennen aber auch das Verhalten der Patienten als Grund. Die Angst vor einer Ansteckung im Krankenhaus – das nicht selten als gefährlicher Ort wahrgenommen wurde – führte oft dazu, dass Termine abgesagt wurden. „Die Patienten waren sehr oft im Zwiespalt. Zum einen war die Angst vor einer Ansteckung groß, zum anderen fürchtete man sich aber auch vor einer Verschlechterung der Krebserkrankung durch fehlende Untersuchungen“, sagt Hilbe.

Patienten leiden unter Besuchsverbot

Umfragen bei Patienten in Österreich zeigen, dass diese vor allem eines sehr trifft: Das Besuchsverbot im Krankenhaus sowie die Möglichkeit bei schwierigen Arztgesprächen eine Begleitperson mitzubringen. Außerdem wurde das Wegfallen der Reha von vielen als belastender Aspekt angegeben.

Und was wird vonseiten der Ärzte getan, um Krebspatienten möglichst gut zu schützen? Mittlerweile habe man viel gelernt, betonten die Experten. Man könne die Versorgung bei Screening, Diagnose und Therapie mittlerweile wieder gewährleisten. „Wir versuchen eine Balance zwischen notwendigen Therapien und Gefahren einer Infektion zu finden“, sagt Christian Schauer, Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie der OEGGG. Das müsse bei jedem Patienten individuell abgewogen werden. Dazu werden Checklisten erstellt. Grundsätzlich achte man immer darauf, dass sich Behandlungen nicht verzögern, wenn es möglich ist. „Der Ansatz lautet: Wir wollen Therapien durchziehen, aber niemanden einem erhöhten Risiko aussetzen.“
Mittlerweile weiß man, dass eine Covid-19-Infektion bei Krebspatienten sehr oft schwer verläuft. Häufig brauchen diese Menschen ein Intensivbett und sie haben ein höheres Risiko an Covid-19 zu versterben. Wie hoch das Risiko ist, hängt stark von Komorbiditäten, dem Alter sowie dem Allgemeinzustand des Einzelnen ab. „Deshalb wollen wir jetzt einen Weckruf starten. Wir haben feststellen müssen, dass der Appell an die Eigenverantwortung nur wenig wurzelt. Daher ist es uns wichtig Fakten darzulegen, die eine klare Entscheidungsstruktur für einzelne Menschen liefert“, sagt Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe. Denn jeder habe eine bedeutende Rolle bei der Eingrenzung der Pandemie.

Nicht alle Operationen kann man verschieben

Als wichtiger Punkt gilt, Intensivkapazitäten zu erhalten: „Wir brauchen Operationen, denn sie sind ein wesentlicher Punkt der Tumortherapie“, sagt Schauer. Häufig handle es sich dabei aber auch um ausgedehnte Operationen, für die es dann auch ein Intensivbett braucht. Auch für Noteingriffe und heilende Eingriffe sollen Kapazitäten bleiben. „Ob Operation oder Strahlentherapie: In dieser Phase haben wir die Möglichkeit die notwendigen Behandlungen durchzuführen. Wir wissen, wie wir Menschen mit schweren Erkrankungen schützen können“, sagt Sevelda.

Dabei solle man sich die Situation der Krebspatienten vor Augen halten: „Bei ganz fortgeschrittenen Erkrankungen können diese Menschen ihre Wünsche und Träume nicht auf später verschieben“, sagt Doris Kiefhaber, Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe.  „Wir hoffen alle, dass diese Pandemie vorbeigeht. Mittlerweile ist klar, dass der Weg dorthin über die Impfung führen wird“, sagt Paul Sevelda. Die Experten appellieren hier an alle Menschen diesen Schritt zu gehen und so auch andere zu schützen.

Sind die Impfungen verfügbar, müssen Krebspatienten so früh wie möglich geimpft werden, um sie zu schützen“, sagt Hilbe. Zuvor werde noch ausgewertet in welcher Phase einer Krebserkrankung die Impfung am sinnvollsten ist. Danach solle für jeden Patienten individuell festgelegt werden, wann er geimpft wird. 

Ein dringender Aufruf gilt auch den Früherkennungsuntersuchungen. Diese sollen auch jetzt unbedingt wahrgenommen werden. „Und noch wichtiger: Zeigt man Symptome wie Blut im Stuhl, oder ertastet Knoten in der Brust, muss sofort ein Besuch beim Arzt folgen“, so Sevelda. Damit der Besuch im Krankenhaus auch sicher ist, wurden bereits viele Maßnahmen getroffen: Ambulanzkontakte werden beschränkt, Termine vergeben und das Personal regelmäßig getestet.

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