Ihr Buch trägt den Untertitel: Tipps für die persönliche Impfentscheidung. Wie persönlich kann die Entscheidung sein, schließlich ist Impfen immer auch ein sozialer Akt – in diesem Fall geht es um nichts weniger als darum, eine Pandemie zu beenden.
Herwig Kollaritsch: Mittels einer freiwilligen Impfung in die körperliche Integrität einzugreifen, ist imer eine persönliche Einzelentscheidung. Diese Entscheidung sollte aber auf drei Grundlagen basieren: Das sind erstens medizinische Gründe: Die medizinischen Daten liegen auf dem Tisch, wir wissen, dass wir mit der Impfung den Menschen keinen gravierenden Schaden zufügen. Die zweite Frage ist: Sind wir bereit für unser Zusammenleben einen gesellschaftlichen Akt zu setzen? Und die dritte Frage: Wollen wir die nächsten Jahre ständig in einer Phase von Einschränkungen leben, wollen wir weiterhin wirtschaftlichen und sozialen Schaden nehmen?
Laut einer aktuellen Umfrage wollen sich 56 Prozent der Österreicher gegen Covid-19 impfen lassen, die allgemeine Impfbereitschaft in Österreich liegt bei 70 Prozent. Welche Impfbereitschaft erwarten Sie bei Covid-19?
Das wird stark von der Kommunikation der nächsten Wochen abhängen. Wie stark werden sich Impfgegner formieren - das ist im Moment unser größtes Problem. Eine Schlüsselrolle spielt auch das medizinische Personal: Wenn der Vertrauensarzt eines Patienten von der Impfung überzeugt ist, ist der Patient zu mehr als 80 Prozent bereit, dieser Empfehlung zu folgen. Auch die Rückmeldungen aus jenen Ländern, die schon mit den Massenimpfungen gestartet sind, werden eine Rolle spielen: Welche Auffälligkeiten treten auf? Ich denke auch, dass in Österreich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen die Impfung unterschiedlich annehmen werden: Diejenigen, die in Covid-19 eine unmittelbare Bedrohung für sich selbst sehen, weil sie Grundkrankheiten haben oder weil sie jemanden kennen, der an Covid-19 gestorben ist, werden eine andere Haltung haben als junge, gesunde Menschen, die mit einer gewissen Sorglosigkeit an dieses Thema herangehen.
Ein Erklärungsansatz dafür, dass die Impfskepsis zunimmt, ist: Impfungen sind Opfer des eigenen Erfolgs. Durch Impfungen verschwinden die Krankheiten, vor denen sie schützen, die Angst vor Nebenwirkungen rückt in den Fokus. Nun leben wir aber in der Pandemie, wir sehen die Auswirkung von Covid-19 jeden Tag. Wieso ist die Impfbereitschaft trotzdem gering?
Die Impfentscheidung wird extrem emotional beurteilt, das hat nichts mit rationalen Überlegungen zu tun. Denn rational gesehen ist es eine Milchmädchenrechnung, jeder kann sich ausrechnen, was für ihn der höhere Nutzen ist. Wir haben in Österreich bis jetzt über 4.000 Corona-Tote. Bei einer 90-prozentigen Wirksamkeit der Impfung, könnten wir die Todeszahl von 4000 auf 400 oder 500 Tote senken, die Zahl der Patienten im Spital im ähnlichen Maß. Demgegenüber steht ein fiktives Impfrisiko, das so gering ist, dass es bisher in den Studien überhaupt nicht aufgetaucht ist. Abgesehen vom medizinischen Bereich: Ich bin 65 Jahre alt und ich möchte mich wieder frei bewegen können. Wir werden Anfang bis Mitte Februar die nächste Welle haben und es wird wieder Restriktionen geben müssen. Wollen wir so wirklich die nächsten Jahre leben? Dieses Virus verschwindet nicht einfach wieder.
Die Alternative wäre die natürliche Herdenimmunität.
Dafür müssen 70 Prozent der Bevölkerung immun sein. Das bedeutet, zigtausend Tote und den Zusammenbruch des Gesundheits- und Wirtschaftssystems. Und dann wissen wir nicht, wie lange die Immunität nach einer Infektion hält. Es kann sein, dass nach drei bis vier Jahren das Spiel wieder von vorne losgeht. Das kann keine Zukunftsoption sein.
Doch junge Menschen könnten für sich denken: Mache ich eben die Infektion durch und habe so eine natürliche Immunität, bevor ich mir eine Impfung mit noch unbekannten Nebenwirkungen geben lasse.
Das Risiko durch die Infektion schwer zu erkranken, ist auch für jüngere Menschen gegeben. Das Durchschnittsalter der Covid-Intensivpatienten am AKH Wien liegt bei 55 Jahren – auch Jüngere müssen kämpfen, brauchen oft wochenlange Rehabilitation. Das Risiko der Erkrankung ist nicht kalkulierbar – das Risiko der Impfung hingegen ist kalkulierbar: Dazu gibt es Studiendaten. Für mich ist ein kalkulierbares Risiko eine angenehmere Aussicht.
Warum ist gerade die Impfdebatte eine so emotionale - über Blutdrucksenker oder Antibiotika wird selten so emotional diskutiert.
Als Edward Jenner vor mehr als 200 Jahren mit der Pockenimpfung begonnen hat, dauerte es nur wenige Wochen, bis sich Impfgegner formiert haben. Das Phänomenn ist auch für mich etwas unerklärlich, es hängt vielleicht damit zusammen, dass wir Impfungen an Gesunde verabreichen. Die Gefährdung, die wir mit Impfungen bekämpfen, ist für manche nicht unmittelbar fassbar. Habe ich jedoch einen Meniskusschaden, der mir Schmerzen bereitet, ist da ein unmittelbarer Leidensdruck. Wenn mich eine Operation von den Schmerzen befreien kann, muss ich trotzdem das Operationsrisiko abwägen – die Motivation für den Eingriff wird aber durch meine Schmerzen dominiert. Das ist bei Impfungen anders: Der Mensch ist gesund, denkt sich: Mir kann eh nichts passieren. Leider ist eine egoistische Grundhaltung sehr oft der ausschlaggebende Motivator.
Nun basieren zwei der ersten Covid-Impfstoffe auf der messenger-RNA-Technologie. Eine solche Impfung wurde noch nie zugelassen, was für Unsicherheit sorgt. Worauf muss man sich einstellen, wenn man diesen Impfstoff bekommt?
Die Technologie gibt es seit 1990, sie ist also nicht ganz neu. Bis dato war das Hauptproblem, dass nackte RNA vom Körper sofort abgebaut wird, sie konnte nicht geimpft werden. Nun ist es gelungen eine Verpackung für die RNA zu finden, sodass sie unangreifbar ist, bis sie die Muskelzelle erreicht. Gelangt diese RNA nun in den Körper wird sie von den Zellfabriken in unseren Zellen, den Ribosomen abgelesen und das notwendige Protein wird hergestellt. Das ist im Grunde ein biologischer Vorgang, der in unseren Zellen ständig abläuft. Wir machen uns das körpereigene System zunutze. Es ist technisch nicht möglich, dass diese RNA in den Zellkern gelangt und unser Erbgut verändert. Das geht genauso wenig wie ich mit einem Auto nicht fliegen kann. Wenn die Proteine hergestellt sind, wird die RNA in der Zelle zerstört und recycelt.
Diese Art von Impfstoff, so wurde es auch in den Studien beobachtet, kann zu starken Impfreaktionen führen.
Für mich als Vakzinologen ist das eine erfreuliche Sache – nicht weil ich Sadist bin, sondern weil es ein Zeichen für eine gute Immunantwort ist. Wir spüren, dass unser Immunsystem aktiv wird – die Symptome, die dabei auftreten, sind breit gestreut: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit, es kann auch an der Impfstelle selbst zu entzündlichen Reaktionen kommen und das tut weh. Das alles ist zwar unangenehm, aber es ist nicht gesundheitsschädlich und es geht schnell wieder weg, längstens nach drei Tagen.
Können diese Impfreaktionen für ältere oder vorerkrankte Menschen zum Problem werden?
Gerade ältere Menschen haben eine geringere Chance, dass sie von der Intensität der Nebenwirkungen Probleme bekommen. Warum? Unser Immunsystem altert und ist nicht mehr so aktiv – das hat den Vorteil geringerer Impfreaktionen, der Nachteil könnte sein, dass der Impfschutz bei Älteren vielleicht kürzer hält.
Die Covid-Impfstoffe wurden so schnell auf den Markt gebracht wie noch nie eine Impfung zuvor. Das verunsichert zusätzlich, denn: Es muss ja irgendwo Zeit gespart worden sein.
Schnell bedeutet nicht zwangsläufig schlampig. Firmen machen normalerweise bei der Impfstoff-Entwicklung ein Zug-um-Zug-System, um das kaufmännische Risiko zu minimieren. Eine Impfstoff-Entwicklung kostet bis zu einer Milliarde Euro. In der Pandemie war es aber so, dass jene Firmen, die ganz vorne in der Entwicklung stehen, massivste staatliche Unterstützung bekommen haben, um ihr kaufmännisches Risiko abzufedern. In der Folge haben die Herstellerfirmen ihre ganze Arbeitskraft in die Entwicklung gesteckt und schon begonnen Impfstoff zu produzieren als noch völlig unklar war, ob er wirkt. Das verfügbare Geld und die Arbeitskraft hat den Unterschied gemacht.
Der Faktor Zeit bereitet auch deshalb Sorgen, weil es keine Langzeitbeobachtung der Studienprobanden gibt.
Die überwiegende Zahl von schweren Nebenwirkungen nach einer Impfung treten innerhalb der ersten zwei Monate auf. Alles, was danach auftritt, ist sehr selten und auch in der kausalen Relation zur Impfung strittig. Bei Influenza-Impfstoffen kann in ein bis zwei Fällen pro einer Million Geimpfter ein Guillain-Barré-Syndrom, eine Form der Nervenentzündung auftreten. So seltene Nebenwirkungen sind in Studien einfach nicht erfassbar, die Wahrscheinlichkeit dafür ist einfach zu gering. Bei der Pfizer-Biontech-Studie sind zwei Dinge aufgefallen: Unter den Geimpften traten vier Fälle eine vorübergehende Lähmung im Gesicht auf, Faszialisparese genannt. Die Häufigkeit, mit der das auftrat, entsprach aber der sogenannten Hintergrund-Inzidenz: Die Erkrankung ist nicht häufiger vorgekommen, als man sie auch in der Allgemeinbevölkerung ohne Impfung erwarten würde. Zweitens haben wir von zwei Fällen von allergischen Reaktionen gehört, darauf sollte man ein Augenmerk haben, aber auch das ist etwas, das sofort auftritt. Als impfender Arzt weiß man, wie man damit umgeht.
Das letzte Wort in der Zulassung haben die Behörden der europäischen Arzneimittelbehörde: Wer sitzt da drin und können die im Angesicht einer Pandemie überhaupt sagen: Wir wollen mehr Daten, wir sind uns nicht sicher?
Ich habe selbst einige Impfstudien gemacht und ich weiß, dass das Beurteilungsverfahren der Arzneimittelbehörde gefürchtet ist. Die Prüfer zerlegen ein Studienzentrum in seine Einzelteile, da wird jeder Beistrich geprüft. Diese Verfahren sind gesetzlich haargenau geregelt, das gilt auch in einer Pandemie.
Sie haben die ethische Verantwortung beim Thema Impfen angesprochen, doch noch ist völlig unklar, ob ein Geimpfter das Virus nicht trotzdem weitergeben kann. Zählt das Argument der sozialen Verantwortung damit überhaupt?
Wir können heute einfach noch nicht sagen, ob die Impfung die Übertragung des Virus verhindert. Ich gehe aber davon aus, dass jemand, der geimpft ist und Antikörper gebildet hat in seiner Fähigkeit das Virus zu übertragen zumindest eingeschränkt ist. Das heißt: Er ist nicht so lange, nicht so massiv ansteckend. Abgesehen davon stellen wir bei den jetzigen Impfungen den Schutz des Einzelnen in den Vordergrund. Wir haben jetzt die erste Generation des Impfstoffes. Es kommen im Laufe des Jahres 2021 ein weiteres halbes bis Dutzend Impfstoffe heraus und vielleicht hat einer von denen das Potenzial, die Übertragung nachhaltig zu beeinträchtigen.
Wann können wir die Masken wegwerfen?
Ich gehe davon aus, dass wir die gesamte Winter- und Frühjahrs-Saison arge Probleme haben werden. Ich hoffe, dass der Sommer auch durch die Saisonalität des Virus die ersten Erleichterungen bringen wird, glaube aber nicht, dass wir da schon die üblichen Regeln außer Acht lassen dürfen. Es hängt von der Bevölkerung ab: Ist die Impf-Akzeptanz hoch, lassen sich deutlich über 50 Prozent der Menschen impfen und entstehen gerade in den Risikogruppen keine Impflücken, dann können wir im nächsten Herbst ein einigermaßen normales Leben führen.
Haben Sie Ihre persönliche Impfentscheidung schon getroffen?
Ich bin 65 Jahre alt und ich hätte die Impfung schon gerne heute.